Der Prophet Joel

Thema: Die Heuschreckenplage und der Tag des HERRN

Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch,
und eure Söhne und Töchter sollen weissagen,
eure Alten sollen Träume haben,
und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

Joel 3,1

Der Prophet

Über Joel wissen wir außer dem Namen seines Vaters (Petuel) fast nichts. Das augenfällige Interesse an Jerusalem und am Tempel (1,9.13f.16; 2,14–17; 3,5; 4,1.6.16) lässt vermuten, dass er aus dem Südreich und Jerusalem stammte und möglicherweise mit dem Tempelkult in Verbindung stand („Kultprophet“?).

Für die Datierung des Buches gibt es kaum Anhaltspunkte. Vorschläge reichen vom 9. Jh. bis ins 4. Jh. v. Chr. Wegen Ähnlichkeiten zu Zefanja gilt eine mittlere Datierung um 600 v. Chr. als wahrscheinlich.[1]

Daraus, dass keine genaue Datierung gegeben wird, kann geschlossen werden, dass der historische Kontext für das Verständnis des Buches nicht von großer Bedeutung ist.

[1]     Zenger (in Zenger u. a., Einleitung 92016, 647–648) argumentiert für eine Datierung des Buches in die 1. Hälfte des 4. Jh.s. Dillard / Longman (Introduction, 411–414) sehen eine Entstehung im Zeitraum vom späten 6. Jh. bis zur Mitte des 5. Jh. am besten im Einklang mit den Argumenten. Stuart (Hosea–Jonah WBC, 226.232–233) spricht sich für die Einheit des Buches sowie eine Entstehung entweder im Zusammenhang mit der assyrischen Invasion 701 oder einer der babylonischen Invasionen 598 bzw. 588 v. Chr. gegen Jerusalem aus. Childs (Introduction, 389–392) spricht sich für eine literarische Einheit (entweder durch einen Autor oder eine Redaktion) und eine zweigestufte Entstehung aus, wobei Joels Prophetie zunächst an die Zeitgenossen gerichtet war und später zur Anwendung für zukünftige Generationen umgeformt wurde.

Inhalt und literarischer Aufbau

Kap. 1 und 2 beschreiben eine Heuschreckenplage, die über Israel kommt und die alles Grün sowie sämtliche landwirtschaftlichen Erträge vernichtet. Die Heuschrecken werden als eine Armee Gottes beschrieben, gesandt zu einem jôm JHWH, „Tag des HERRN“, zum Gericht über Israel. Joel ruft das Volk zur Umkehr auf und sagt dem Volk nach dem Gericht erneut Gottes Segen zu.

Kap. 3 und 4 beschreiben den endzeitlichen jôm JHWH als einen Tag des Segens für Israel und einen Tag des Gerichts über die feindlichen Nationen, die sich im Tal Joschafat gegen Israel versammeln.

Die beiden Buchteile sind typologisch aufeinander bezogen, d. h. die „Armee der Heuschrecken“ im ersten Buchteil steht als Typos, d. h. Muster, Vorbild, für die endzeitliche Armee der Gottesfeinde im zweiten Buchteil.

Der zweite Buchteil (Kap. 3 und 4) ist in sich konzentrisch aufgebaut. Für den ersten Buchteil (Kap. 1 und 2) kann ebenfalls ein konzentrischer Aufbau angenommen werden, der allerdings weniger eindeutig ist. Als sicher kann jedenfalls eine Inclusio von 1,2–4 und 2,25–27 angenommen werden.

Auf dieser Seite

Der literarische Aufbau des Buches Joel

Joel

Bibelkunde-Skript

Propheten Einführung

Bibelkunde-Skript

Joel

Der jôm JHWH „Tag des HERRN“

Vorkommen im AT: Jesaja 2,12;  13,6.9;  Hesekiel 13,5;  30,3;  Joel 1,15;  2,1.11;  3,4;  4,14;
Amos 5,18.20;  Obadja 15;  Zefanja 1,7.14;  Sacharja 14,1;  Maleachi 3,23

Vorkommen im NT: Apg 2,20;  1Thess 5,2;  2Thess 2,2;  2Pet 3,10

Im Nahen Osten gab es zur damaligen Zeit die Vorstellung, dass ein mächtiger König eine vollständige militärische Eroberung an einem einzigen Tag durchführen könnte. Dies mag ein Hintergrund für den Begriff jôm JHWH gewesen sein. Der Ausdruck bezeichnet einen Zeitpunkt (nicht unbedingt einen einzelnen Tag), an dem Gott seine Macht in besonderer Weise offenbart, um seine Feinde zu überwinden und um Gerechtigkeit herzustellen.

  • der jôm JHWH als Gericht über Israel
  • der jôm JHWH als Gericht über die heidnischen Nationen
  • der jôm JHWH als Tag der Reinigung und Erneuerung für Israel (und für die Nationen)

Mit dem Ausdruck jôm JHWH können historische Ereignisse bezeichnet werden. Zugleich wird der Begriff endzeitlich verstanden, wobei das Geschehen nach alttestamentlicher Sicht dennoch im Raum der Geschichte bleibt. Die Beschreibungen der verschiedenen „Tage des HERRN“ sind typologisch aufeinander bezogen.

Exkurs „Typologie“

(aus Stefan Felber, „Typologie“, Themenbuch AT-Theologie, 2007/2012)

Von griech. typto “schlagen”; typos daher: Schlag, Stoß; Bildhauerarbeit; Gepräge, Form, Vorbild (ge­prägtes oder prägendes Bild).

Typologie in der biblischen Theologie handelt vom Zusammenhang ge­schichtlicher Ereignisse, Personen und Institutionen: Das zeitlich jeweils erste ist der »Typos«, das andere der »Antitypos«, das Gegenbild. Typologisches Den­ken geht davon aus, dass die Heilsgeschichte nicht zufällig verläuft, son­dern durch Gottes Wirken so, dass Entsprechungen, Ähnlichkeiten, Stei­gerungen etc. eintreten können: Jona war drei Tage im Fisch – Jesus war drei Tage im Grab (Mt 12,39f); eine eherne Schlange wurde aufge­rich­tet, wer auf sie blickte, wurde errettet – Jesus wurde am Kreuz erhöht, und wer auf ihn blickt, wird errettet (Joh 3,14); es gibt einen ersten und ei­nen zweiten Adam (Röm 5,12ff) usw.

Die Texte des Alten Testaments sind miteinander verwoben über ein typologisches Be­zie­hungs­netz, das von den Erzählungen über die ersten Tage der Welt bis hin zu den nachexilischen Texten reicht. Das typologische Denken besonders der Pro­pheten trägt eine Fahne der Hoffnung vorwärts, so, dass sie im Vor­wärts­tragen rückwärts weist: Die Propheten weisen auf den neuen David, den neuen Exodus, den neuen Bund oder die neue Gottesstadt. Schon in­nerhalb des Alten Testaments »hatte also das Alte für das Neue eine ty­pisch vorausweisende Bedeutung bekommen« (G. v. Rad, Theologie II, S. 344.). Hans Walter Wolff benutzt auch das Bild vom »Ruderer, der sich rückwärts in die Zukunft be­wegt: Er erreicht das Ziel, indem er sich orientiert an dem, was einsichtig vor ihm liegt; die­se enthüllte Geschichte bezeugt ihm den Herrn der Zukunft« (Anthropologie des Alten Tes­taments, Gütersloh 1973, 51990, S. 135).

Personenbezogene Typologie

Beispiel David: Die Erwartung eines zweiten David als Antitypos für den ersten David ergibt sich ganz zwanglos aus der Dynastieverheißung an David (2Sam 7), die besagt, dass für alle Zeiten ein Nachfolger Davids auf dem Thron sitzen soll.

Weitere Beispiele: Adam (Röm 5,12–21), Noah (1Petr 3,20), Abraham (Röm 4; Gal 3), Mose, Elia.

Ereignisbezogene Typologie

Beispiel Durchzug durch das Schilfmeer: Die Wasserfluten werden zum Symbol der Bedrängnis, das Zurückdrängen der Flut zum Symbol für Gottes Hilfe (z. B. Jes 43,2.14–21; Jos 4,23).

Weitere Beispiele: die eherne Schlange (Joh 3,14); die drei Tage Jonas im Fisch (Mt 12,39f).

Institutionenbezogene Typologie

Beispiele: der von Jeremia angekündigte „neue Bund“ (Jer 31, Luk 22,20); das Priestertum Melchisedeks (Gen 14,18–20; Ps 110,4; Hebr 5–7); Ehe; Anbetung; Baum des Lebens; Sabbat; Sakramente.

Typologie ist eine grundlegende Denkform alttestamentlicher und gesamtbiblischer Theologie, insbesondere auch im Zusammenhang von Prophetie und Erfüllung.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach