Das Buch Ruth

Thema: „Erlösung“ oder „für Gott die Initiative ergreifen“

Rut antwortete: Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hin gehst, da will ich auch hin gehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

go’el

Löser, Erlöser

Das Wort "lösen" und "Löser" wird im Buch insgesamt 22 Mal verwendet. (Das hebräische Alefbet hat 22 Buchstaben.)

kānāf

Flügel, Rand, Saum

Das Wort steht in 2,12 und 3,9 und verbindet die zentralen Aussagen von Kap. 2 und 3.

chäsäd

Güte, Barmherzigkeit

Das Wort kommt in 1,8; 2,20 und 3,10 vor.

schûv

umkehren

Das Wort kommt 12 Mal in Kapitel 1 und in 2,6; 4,3; 4,15 vor.

Platz im Kanon

In den deutschen Übersetzungen Teil des Geschichtswerks von Genesis–Könige;

in der alten jüdischen Tradition Eröffnung der Ketuvim, Einleitung in den Psalter;

in der späteren jüdischen Tradition zu fünf Megillot (Ruth, Hld, Pred, Klg, Est) gerechnet.

Gattung und Autorschaft

Das Buch Ruth gehört zur Gattung der historisch-theologischen Erzählung. Die Autorschaft ist anonym, außerdem liegt ein auktorialer Erzähler vor.

Datierung

Die „erzählte Zeit“ ist die der Urgroßeltern Davids, d.h. um 1200 v.Chr. in der Richterzeit. Das Geschlechtsregister am Buchende reicht bis David (Regierungszeit ca. 1010–971). In seiner jetzigen Form setzt das Buch das Wissen um Davids Königtum voraus. Für die Buchentstehung ist daher der Zeitraum von 950–600 v.Chr. wahrscheinlich. Das älteste Manuskript des Buches wurde in den Höhlen von Qumran gefunden.

Auf dieser Seite

Ruth

Bibelkunde-Skript

3.3.1 Ruth

Aufbau und Botschaft (wissenschaftlich)

Literarkritik

Die Genealogie in Ruth 4,18–22 wird von manchen als sekundär angesehen, sie fügt sich aber gut in die literarische Gesamtanlage: Den 10 Jahren der Kinderlosigkeit am Anfang des Buches stehen 10 Generationen bis David am Ende des Buches gegenüber.

Inhalt des Buches

Das Buch Ruth berichtet von einer Familie, die ein schweres Schicksal erleidet, aber dennoch Erlösung erfährt durch die Barmherzigkeit Gottes, welche vorwiegend durch Menschen sichtbar wird, die für Gott Initiative ergreifen und guten Herzens sind.

Das Buch beginnt mit dem Bericht des Schicksals von Noomi. In der Richterzeit bricht in Israel eine Hungersnot aus, weswegen Elimelech zusammen mit seiner Frau Noomi und seinen beiden Kindern Machlon und Kiljon Bethlehem verlässt und sich im Land Moab niederlässt. Elimelech stirbt dort und seine beiden Söhne, Machlon und Kiljon, heiraten Orpa und Ruth, sterben allerdings auch nach etwa 10 Jahren. Angetrieben durch die Nachricht der Barmherzigkeit Gottes kehrt Noomi zurück in die Heimat Juda, wohin Orpa und Ruth sie vorerst begleiten. Als sie auf dem Weg die beiden auffordert zurückzukehren, zeigt sich Ruth im Gegensatz zu Orpa loyal und besteht darauf, ihre Schwiegermutter zu begleiten, da nur der Tod sie scheiden könne. In Bethlehem angekommen beklagt Noomi ihr Schicksal und will sich Mara (die Bittere) nennen lassen.

Als Ruth Ähren aufsammeln will, die von den Erntearbeitern übriggelassen wurden, weiß sie noch nicht, auf wessen Feld sie sich befindet. Es ist das Feld von Boas, welcher aus derselben Sippe wie Elimelech stammt und auch an diesem Tag das Feld betritt, um mit seinen Arbeitern zu sprechen und sich nach Ruth zu erkundigen. Boas bietet Ruth Schutz, etwas zu Trinken und die Möglichkeit der Nachlese an, weil er gehört hat, wie treu Ruth ihrer Schwiegermutter und Gott gegenüber ist. Er lädt Ruth sogar später zum Essen ein, bei dem sie noch das Übriggebliebene mitnimmt und abends Noomi bringt, welche sich verwundert erkundigt, woher sie solche Mengen an Getreide bekommen hat. Nach einer Erläuterung von Ruth ermutigt Noomi sie, weiter bei Boas zu arbeiten. 

Noomi möchte helfen, für Ruth einen Mann zu finden. Sie ermutigt Ruth, nach einem Bad mit wohlriechenden Düften zur Tenne zu gehen, um sich zu Füßen des schlafenden Boas hinzulegen. Ruth führt dies nach Noomis Beschreibung aus. Boas erwacht in der Nacht und Ruth bittet ihn, für sie zu sorgen und sie zu heiraten. Boas weist auf einen näheren Verwandten hin, bestätigt jedoch Ruths Bitte, sofern der nähere Verwandte sich nicht ihrer annimmt. Bevor es hell wird, kehrt Ruth zu Noomi zurück, berichtet von der Nacht und bringt ein Geschenk von Boas mit.

Boas verabredet sich mit dem nächsten Verwandten von Ruth und zieht die führenden Männer von Bethlehem als Zeugen hinzu. Er fragt den Verwandten, ob er das Grundstück von Elimelech kaufen möchte, damit es im Besitz der Sippe bleibt. Der Verwandte stimmt zu, doch als Boas ihn dazu auffordert, dazu Ruth zu heiraten, tritt er von seinem Recht zurück und überlässt die Aufgabe Boas. Boas nimmt Ruth zur Frau und die beiden zeugen ein Kind. Die Frauen von Bethlehem preisen Noomi und geben dem Kind den Namen Obed.

Ein abschließendes Geschlechtsregister zieht die Linie von Perez bis David und nennt darin Boas und Ruth als Davids Urgroßeltern. (Inhaltsangabe von Jan Silas Siebdrat)

Die Schwagerehe, Elimelechs Familienlinie und der „Löser“ Boas

Die Schwagerehe bzw. Leviratsehe (hebr. Levi „Schwager“) kommt in der Bibel zuerst im Zusammenhang mit Juda und Tamar vor (Gen 38). In Dtn 25,5–10 wird sie für Israeliten geltendes Recht. Das Gesetz nimmt den Bruder eines verheirateten, kinderlos verstorbenen Mannes in die Pflicht, dessen Frau zu heiraten, sobald er volljährig ist. Der erste Sohn, der in dieser Leviratsehe geboren wird, gilt als Nachkomme des Verstorbenen. So soll gesichert werden, dass der Name des Verstorbenen weiterlebt und die Familie nicht ausstirbt, was das Hauptanliegen dieses Gesetzes darstellt. Das Gesetz schließt auch ein, dass die Witwe versorgt ist und der Landbesitz in der Familie bzw. Sippe bleibt.

Im Fall von Noomi und Ruth liegen besondere Umstände vor: Zum Erhalt der Familienlinie geht nicht Noomi, sondern deren Schwiegertochter Ruth die Leviratsehe ein. Besonders ist hier auch, dass die Leviratsehe mit der Auslösung des Landes verknüpft ist und Boas hier zusätzlich als Löser des Landes bzw. des Besitzes auftritt, den Noomi und ihr Mann verpachteten, bevor sie in das Gebiet Moabs zogen. Aufgrund dieser Verbindung der beiden Rechte gilt Obed als Sohn Noomis und als Sohn von Boas.

(Text zur Schwagerehe von Emily Radermacher und Esther Ferderer)

Die literarische Struktur und ihre Aussagen

Die Konzentrik von Kap. 2
1
Einleitende Information
2
Gespräch Noomi–Ruth
3
Ruth liest Ähren
4–7
Gespräch Boas–Schnitter
8–9
Boas
Angebot zur Nachlese, zum Schutz, zum Trinken
10
Ruth
Ruth als Fremde hat bei Boas Gunst gefunden
11–12
Boas
Der HERR vergelte dir dein Tun ... zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln Zuflucht zu suchen!
13
Ruth
Ruth als Fremde hat bei Boas Gunst gefunden
14
Boas
Angebot zum Essen und Trinken
15–16
Gespräch Boas–Schnitter
17
Ruth liest Ähren
18–22
Gespräch Noomi–Ruth
23
Zusammenfassende Schlussbemerkung

Das Kapitel folgt einem ungezwungenen narrativen Fluss. Zugleich ist darin eine konzentrische Struktur angelegt, durch die die Begegnung der beiden Hauptpersonen auch formal in den Mittelpunkt gerückt wird. Den zentralen Satz bildet der Segenswunsch des Boas.

Die Konzentrik von Kap. 3
1–5
Gespräch Noomi – Ruth
6
Ruth geht zur Tenne
7
Ruth schläft zu den Füßen des Boas
8–9
Boas
Wer bist du?
9
Ruth
Ich bin Rut, deine Magd. Breite deinen Flügel über deine Magd, denn du bist Löser.
10–13
Boas
Erklärungen und Anweisungen
14
Ruth schläft zu den Füßen des Boas
15
Ruth geht in die Stadt
16–18
Gespräch Noomi – Ruth

Auch in Kap. 3 bildet die Begegnung von Ruth und Boas das Zentrum.

Die Verbindung zwischen Kapitel 2 und 3

Wessen “Flügel”?

Ein Tag am Beginn der Gerstenernte (Kap. 2) steht einer Nacht am Ende der Gerstenernte (Kap. 3) gegenüber. Den beiden zentralen Aussagen gemein ist das Wort „Flügel“.

2,11–12   –  Boas:
Der Herr vergelte dir dein Tun …
zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln Zuflucht zu suchen!

3,9   –  Ruth:
Ich bin Rut, deine Magd.
Breite deinen Flügel über deine Magd, denn du bist Löser.

„Gottes Güte wird Wirklichkeit, wenn Menschen in seinem Sinne zu handeln beginnen.“

„für Gott die Initiative ergreifen“

Der Buchrahmen: Von der Richterzeit zum Königtum Davids (1,1; 4,22)

  • Familiäre Erlösung: Boas „löst“ die Familie des Elimelech. Dies führt zu:
  • Nationale Erlösung: David „erlöst“ Israel aus den Wirren der Richterzeit.
  • Weltweite Erlösung: Der Davidsohn Jesus erlöst alle, die an ihn glauben (Mat 1,5f als gesamtbiblische Weiterführung).

"Gott gebraucht Menschen, die für ihn die Initiative ergreifen, für seinen größeren Plan"

Charaktere im Kontrast

Ruth und Orpa

Orpas Entscheidung ist durchaus nachvollziehbar und muss nicht kritisiert werden. Sie führt jedoch dazu, dass Orpa aus „Gottes Geschichte“ herausfällt. Im Kontrast dazu wird die außergewöhnliche Loyalität der Ruth (1,16f) umso deutlicher. Sie wird zu einem Teil von Gottes großem Erlösungsplan.

Boas und der andere Löser

Der andere Löser lehnt ab, aus Angst, seinen eigenen Namen, d.h. sein eigenes Erbteil zu verlieren. Doch gerade weil er ablehnt, verliert er in der Geschichte seinen Namen: Er wird auffällig namenlos als „Herr Soundso“ bezeichnet. Boas dagegen setzt sich für Gottes Sache ein. Das Resultat ist, dass sein Name im Stammbaum des Heilskönigs David – und im Stammbaum von Jesus Christus – erscheint.

Elimelech und Boas

Indirekt werden auch Elimelech und Boas am Anfang und am Ende des Buches einander gegenübergestellt. Das Handeln Elimelechs hat letztlich Kinderlosigkeit, Tod, „Leere“ zur Folge, das Handeln des Boas führt zu neuer Lebensfülle. Die Gegenüberstellung ist nicht nach den Kategorien von Gut und Böse zu schematisieren, sondern zeigt subtiler das Gegenüber von Einstellungen und deren Auswirkungen.

Der Gesamtaufbau des Buches

1, 1–5
A
Vorgeschichte: Richterzeit, 10 Jahre mit Tod und Kinderlosigkeit in Moab
1, 6–18
B1
Noomi kehrt mit Ruth aus Moab zurück; dabei Gegenüberstellung Ruth/Orpa
1, 19–22
B2
Noomi ist „leer“; sie klagt den Frauen ihr Leid und gibt sich einen anderen Namen
2, 1–23
C
Erste Begegnung Ruth–Boas: Ein Tag zum Beginn der Gerstenernte – Die „Flügel“ Gottes
3, 1–18
C’
Zweite Begegnung Ruth–Boas: Eine Nacht zum Ende der Gerstenernte – Der „Flügel“ des Boas
4, 1–12
B1’
Boas löst Ruth; dabei Gegenüberstellung Boas/anderer Löser
4, 13–17
B2’
Gott schenkt ein Kind; die Frauen preisen Noomi und geben dem Kind einen Namen
4, 18–22
A’
Nachgeschichte: 10 Generationen bis zu David, dem Heilskönig

Botschaft

Gott zeigt denen Güte, die zu ihm umkehren und ihre Zuflucht unter den »Flügeln JHWHs« suchen. Sie nimmt im beherzten Handeln von Menschen Gestalt an, die sich positiv von ihrer Umgebung abheben. Ihr Handeln führt zur Erlösung einer Familie und wird zu einem Teil von Gottes erlösendem Handeln für das Volk Israel aus den Wirren der Richterzeit in David (Steinberg, Ketuvim).

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach