Das 1. Buch Mose / Genesis

Thema: Die Anfänge der Welt und die Anfänge des Volkes Israel

Literarischer Aufbau

Die heutige Kapiteleinteilung des Buches stammt aus dem Mittelalter. Sie wurde aus praktischen Gründen eingeführt und hat nicht den Zweck, das Buch in Sinneinheiten einzuteilen.

Im Verlauf der Genesis wird eine bestimmte Formulierung elf Mal wiederholt. Diese Formulierung wird mit dem hebräischen Wort „Toledot“ (gesprochen mit zwei langen o und Betonung auf der letzten Silbe) gebildet, das wörtlich „Gebärnisse/Erzeugnisse“ bedeutet. In der Lutherbibel wird die Formulierung je nach Zusammenhang mit „Dies ist das Geschlecht von …“ oder „Dies ist die Geschichte von …“ übersetzt. Eine sinngemäße Wiedergabe, die sich für alle elf Stellen eignet, lautet: „Dies ist, was aus … wurde“.

Die elf Toledot-Formeln der Genesis
Funktionen der Toledot-Formeln
  • Die Toledot-Formeln leiten jeweils von einem Hauptteil zum nächsten über: Sie greifen auf, was vorher gesagt wurde und weisen gleichzeitig in die Zukunft. So werden am Anfang Himmel und Erde geschaffen; anschließend wird berichtet, „was aus Himmel und Erde wurde“. Es folgen die Geschichten von Adam und seiner Familie; Anschließend wird berichtet, „was aus Adam wurde“ usw.
  • Andere literarische Beobachtungen bestätigen die Einteilung in die oben angegebenen Hauptteile: Die Formeln stehen jeweils an Schnittstellen zwischen literarischen Spannungsbögen. Oft endet ein Toledot-Abschnitt mit dem Tod einer wichtigen Person und mit der Nennung der Söhne, die im folgenden Abschnitt die Hauptrolle spielen.
  • Der erste Hauptteil wird logischerweise nicht eingeleitet mit „was aus … wurde“, sondern mit „Am Anfang …“. Genesis 1,1 kann demnach als Überschrift über den ersten Hauptteil, nämlich die Schöpfungsgeschichte, angesehen werden.
  • Aufgrund der Toledot-Formeln ergeben sich zwölf Hauptteile, entsprechend den zwölf Stämmen Israels; sechs davon bilden die Urgeschichte, die anderen sechs die Vätergeschichte.

Die Toledot-Formeln bilden das literarische, historische und theologische Gerüst der Genesis.

  • Literarisch: Die einzelnen Erzählungen mit ihren jeweiligen Spannungsbögen werden über die Toledot-Formeln zu einem größeren Ganzen verbunden.
  • Historisch: Die Toledot-Formeln zeichnen eine ununterbrochene historische Linie von der Erschaffung der Welt bis zu Jakob Israel und seinen zwölf Söhnen.
  • Theologisch: Die Toledot-Formeln machen das Thema der Erwählung deutlich. Sie zeichnen die erwählte Linie nach; die Nebenlinien werden jeweils vor der Hauptlinie abgehandelt (Ismael vor Isaak, Esau vor Jakob).

Die griechische Übersetzung des Wortes Toledot in der Septuaginta lautet „Genesis“.

Die zwölf Hauptteile der Genesis

Auf dieser Seite

Die Urgeschichte (Genesis 1–11)

Die Urgeschichte erklärt, dass Gott der Schöpfer ist und die Welt seine Schöpfung.

Die Urgeschichte erklärt, warum die Welt heute so ist, wie sie ist: Sie beschreibt den Segen, der Gott in seine Schöpfung gelegt hat, aber auch den Fluch, der durch den Bruch von Beziehungen dazugekommen ist.

Konkret erklärt die Urgeschichte, woher die Welt und die Menschen kommen. Sie erklärt, warum es das Gute und das Böse gibt. Sie erklärt, im Gegenüber zu altorientalischen Sintflutmythen, wie die Sintflut von Gott her zu verstehen ist. Sie erklärt, warum es verschiedene Nationen und Sprachen gibt u.a.

Letztlich erklärt die Urgeschichte, wie das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen zu verstehen ist und warum es deshalb nötig wurde, dass Gott Abraham erwählte. Letztlich erklärt sie damit die Identität des Volkes Israel innerhalb der Völkerwelt.

Die Urgeschichte wird in Kreisen der „konservativen“ Gemeindetheologie oft vor allem unter historischen Fragestellungen betrachtet und kontrovers diskutiert. Für die Auslegung gilt, dass die Texte ihrer Gattung entsprechend ausgelegt werden müssen, um zu hören, was sie vermitteln wollen. Eine historische Aussageabsicht ist durchaus eingeschlossen, allerdings sind auch einige symbolische Momente erkennbar. Ein Schwerpunkt liegt auf der theologischen Aussageebene der Texte.

Hauptteil 1: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde: Schöpfung (Gen 1,1–2,3)

Besondere Gestaltungsmerkmale

Grundstrukturierung in 6 Schöpfungstage + 1 Ruhetag

  • Jeder der sechs Schöpfungstage beginnt mit: Und Gott sprach:
  • Jeder der Tage endet mit: Und es wurde Abend, und es wurde Morgen, der … Tag.

Rahmende Sätze (Orienter):

  • 1,1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde
  • 2,1 Es wurden vollendet Himmel und Erde
  • 2,3 … die Gott schuf.

Neben der offensichtlichen Gliederung in 6+1 Tage sind auch eher verborgene Strukturierungen vorhanden.

Mit der Zahl 7 bzw. 6+1:

  • Sechsmal erscheint die Aussage es war gut, einmal es war sehr gut.
  • Sechsmal heißt es und es geschah so, einmal heißt es und es geschah Licht (wörtlich übersetzt).
  • Sechsmal steht das Wort er schuf, (das Wort wird nur gebraucht, wenn Gott der Handelnde ist), und einmal das Wort er heiligte (Gott ist die Quelle aller Heiligkeit).

Mit der Zahl 3:

  • Das anfängliche „wüst und leer“ wird in drei Aussagen beschrieben.
  • Die Erschaffung des Menschen wird mit einem dreimaligen „er schuf“ beschrieben.
  • Dreimal segnet Gott: die Tiere, die Menschen, den Sabbat (demgegenüber im zweiten Hauptteil drei Flüche: über die Schlange, über den Acker, über Kain).
  • Der siebte Tag wird in feierlicher Weise dreimal genannt.

Die Zahl 7 ist ein Symbol für göttliche Vollkommenheit; die 3 steht als Zahl für Vollständigkeit.

Zwischenfazit: Die Schöpfungsgeschichte ist ein literarisch in besonderer Weise ausgestalteter Text.

Die zweimal drei Tage der Schöpfung

Die sechs Schöpfungstage gliedern sich inhaltlich in zwei Reihen zu je drei Tagen. Der erste Tag entspricht dabei dem vierten, der zweite Tag dem fünften und der dritte Tag dem sechsten Tag. In den ersten drei Schöpfungstagen werden durch verschiedene Trennungs- und Ordnungsvorgänge Räume geschaffen, die in der zweiten Gruppe von drei Tagen mit den entsprechenden „Bewohnern“ bzw. „Beherrschern“ gefüllt werden:

Wohnräume

Bewohner

1. Tag: Licht und Finsternis

4. Tag: Sonne und Mond (und Sterne)

2. Tag: Wasser und Himmel

5. Tag: Wassertiere und Vögel

3. Tag: Festland mit Pflanzenbewuchs

6. Tag: Landtiere und Menschen

Die Aussage der Struktur von 2×3 Tagen ist die: Schöpfung Gottes bedeutet, dass Gott die Gegebenheiten ordnet und damit Raum zum Leben schafft. Gott stellt Lebensräume her und besiedelt sie anschließend mit den jeweils entsprechenden Lebewesen.

–> Die Aussage entspricht der naturwissenschaftlichen Beobachtung der „ökologischen Nische“. Jedes Lebewesen kommt am besten zurecht in dem Lebensraum, für den es gemacht ist (Frosch im Tümpel, Zebra in der Steppe usw.).

–> Die Aussage entspricht psychologischen Beobachtungen, nach denen ein Mensch, um gut und erfüllt zu leben, einen zu ihm passenden Schutz- und Entfaltungsraum benötigt. Die Absicht der göttlichen Schöpfungsordnung ist die, dass jeder „seinen Platz im Leben“ findet.

Fazit: Die Schöpfungsgeschichte ist ein literarischer Text (d.h. man entnimmt ihr die Informationen nicht auf die gleiche Weise wie bei einem Telefonbuch oder Lexikon).

  • historischer Ausgangspunkt und Aussageabsicht: Gott hat die Welt geschaffen
  • literarische Formung über die Strukturierung in 2×3 Tage und Zahlensymboliken
  • theologische Aussageabsicht: Gott schafft Raum zum Leben, jeder soll seinen Platz im Leben finden.
Pentateuch Entstehung

wissenschaftliches Bibelkunde-Skript

Genesis

Bibelkunde-Skript

Hauptteil 2: Was aus Himmel und Erde wurde: Paradies, Sündenfall, Brudermord (Gen 2,4–4,26)

Zwei Geschichten:

  1. Paradieserzählung mit Sündenfall –> Ursünde gegen Gott
  2. Brudermord –> Ursünde gegen den Bruder

Warum wird die Erschaffung des Menschen in der Bibel zweimal berichtet?

Nach der Dokumentenhypothese (d.h. die Annahme, dass der Bibeltext ist aus unterschiedlichen Quellentexten zusammengesetzt sei): die beiden Schöpfungsberichte stammen aus verschiedenen Quellen und wurden einfach hintereinandergestellt. Allerdings: a) Die Ansicht bleibt hypothetisch. b) Unabhängig von der Entstehung muss nach der Absicht der Doppelung gefragt werden:

–> Zum Menschen als Geschöpf Gottes gibt es sehr viel zu sagen. Dies lässt sich nicht in einer einzelnen Geschichte unterbringen. Daher wird die Erschaffung des Menschen zweimal aus unterschiedlicher Perspektive behandelt.

  • Perspektiven Herrschaft und Beziehung: Die erste Erzählung handelt von der Erschaffung der Welt und des Menschen; den Schwerpunkt bilden die Themen Herrschaft und Ordnung; die zweite Erzählung stellt den Mensch und seine Beziehungen in den Mittelpunkt der Darstellung.
  • Gegenüberstellung von Segen und Fluch: Während im ersten Hauptteil dreimal ein Segen ausgesprochen wird (über die Tiere, den Menschen und den Sabbat), erscheint im zweiten Hauptteil ein dreimaliger Fluch (über die Schlange, den Acker und über Kain). Der erste Hauptteil handeln allein vom segensreichen Handeln Gottes. Im zweiten Hauptteil tritt aufgrund der Eigeninitiative der Geschöpfe zum Segen der Fluch hinzu.

–> Die Urgeschichte erklärt, dass die Welt, wie sie heute ist, zustandegekommen ist …

… zum einen aus dem göttlichen Segen

… zum andern aus dem Fluch, der durch Sünde (Beziehungsbruch) hinzukommt.

Beobachtungen zum Thema „Beziehungen“ anhand des Wortes qara’ „rufen, nennen“.

  • Im ersten Hauptteil heißt es 10x „Gott sprach“: Das zeigt den allmächtigen Gott, der souverän die Welt ins Dasein bringt.
  • Im zweiten Hauptteil erscheint 10x qara „rufen/nennen“: Das Wort beschreibt den viel zerbrechlicheren Vorgang, Beziehungen zwischen freien Wesen herzustellen, insbesondere zwischen Mensch und Gott.

Das Benennen (qara’) der Tiere meint nicht eine Namensgebung an sich, sondern das Feststellen und Festlegen eines Verhältnisses. Der Mensch betreibt Viehzucht und macht sich die Tiere zunutze. Ein Gegenüber auf gleicher Ebene findet er in den Tieren jedoch nicht.

Bei der Benennung (qara’) der Frau erfolgt die Verhältnisbestimmung über die Bedeutung der Namen. Die Frau wird zweimal benannt:

  • zuerst als hebr. Ischah „Frau“, erklärt als Ableitung von Isch „Mann“ – Frau und Mann einander zugeordnet (Gen 2,18-24).
  • dann als hebr. Chawwah „Eva“, erklärt als Ableitung von Chawwim/Chajjim „Leben“, weil sie „Mutter allen Lebens“ ist.

Der Beziehung Mann-Frau wird also in der Paradieserzählung besondere Aufmerksamkeit gegeben. Zentral jedoch steht die Beziehung Mensch-Gott. Der Ruf (qara) und die Frage Gottes an den Menschen: „Wo bist du?“ zeigt den Zerbruch der Beziehung zwischen Gott und Mensch und die Verantwortung des Menschen in Bezug auf diesen Bruch an.

Die Aussage von Genesis 4,26, „Zu der Zeit fing man an, den Namen des HERRN anzurufen“ enthält das letzte Vorkommen des Wortes qara’ „rufen/nennen“. Nachdem die Linie Kains und seiner Familie immer weiter nach unten geführt hat, beginnt mit Set, dem „Ersatz“ für Abel, und dessen Sohn Enosch ein Neuanfang, was die Beziehung zwischen Mensch und Gott betrifft.

Hauptteil 3: Was aus Adam wurde: Geschlechtsregister Adam–Noah, Engelehen (Gen 5,1–6,8)

Die Geschlechtsregister der Bibel werden von heutigen Lesern oft für nicht-literarische Texte gehalten. Dies ist aber nur der Fall, weil wir von unserer Kultur her mit der Bedeutung und den Funktionen von Geschlechtsregistern nicht vertraut sind. Anders ist dies z.B. in manchen heutigen afrikanischen Kulturen.

Die Gattung der Genealogie

Funktionen von Genealogien: Genealogien …

  • definieren, „wo der Einzelne“ hingehört: Die Genealogie von 1Chr 1–9 sagt den Heimkehrern, wer sie sind und was „Israel“ ist usw.
  • definieren den sozialen Rang oder das Amt einer Person: Ein Nachkomme des Levi ist zum Tempeldienst bestimmt; der verheißene König muss ein Nachkomme Davids sein usw.
  • definieren Verhältnisse von Personen und Völkern zueinander, z.B. Edom und Israel als Brudervölker
  • demonstrieren Erfüllung des Vermehrungssegens (Urgeschichte, auch: Volkszählungen Israels)
  • verfolgen die Linie der Verheißung (Bund Gottes mit Abraham und seinen Nachkommen, Bund Gottes mit David und seinen Nachkommen). Mt 1,1 Jesus, Sohn Davids, Sohn Abrahams –> Verbindung mit Bundesschlüssen.
  • demonstrieren den göttlichen Plan in der Geschichte: Mt 1 mit 3×14 Generationen (14=Zahl des Namens Davids).
  • sind für informierte Leser wie kurzgefasste Geschichtsrückblicke
  • literarische Funktionen: In der Urgeschichte verbinden die Genealogien die einzelnen Erzählungen; sie bringen eine Regelmäßigkeit, während die Erzählungen von den Unregelmäßigkeiten handeln.

Die Genealogien der Bibel nennen meistens Männer, da sie im Kulturkreis die Träger des „Namens“, d.h. der Identität der Familie sind. Auch der Familienbesitz war normalerweise an die männliche Linie gebunden. Frauen werden in Geschlechtsregistern genannt, wenn sie in der umgebenden Erzählung eine Rolle spielen.

Die Genealogie in Genesis 5

Aussagen:

  • Der göttliche Vermehrungssegen (Gen 1,28) trifft ein.
  • Linie der Verheißung von Adam bis Noah
  • „und er starb“ – der Tod (Fluch) hat Einzug in die Menschenwelt gehalten, ist aber noch recht weit weg – die Menschen werden bis an die 1000 Jahre alt.
  • Henoch, an der 7. Position, stirbt nicht, sondern wird entrückt. Ein Vorzeichen dafür, dass in der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen zum Thema „Tod“ das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. So wie die Abwendung von Gott zum Tod führte, führt die erneute Hinwendung zu Gott zum Leben.
Die Engelehen Genesis 6,1–4

Inhalt: „Gottessöhne“ lassen sich mit den Töchtern der Menschen ein. Aus ihren Ehen werden besondere Heroen geboren, die „Helden der Vorzeit“. Gott greift in das Geschehen ein und verringert zur Strafe die Lebensalter der Menschen.

Die Auslegung der Geschichte ist umstritten. Um das „mythische“ Element der Geschichte zu reduzieren, erklären einige Ausleger, mit den „Gottessöhnen“ seien bestimmte Menschen gemeint (je nach Auslegung die Nachfahren Seths, die Nachfahren Kains oder königliche Personen). Innerbiblisch wird der Begriff „Gottessöhne“ in dieser Form allerdings für Engelwesen, Dämonen etc. verwendet (z.B. Hiob 1+2).

–> Der Text spricht in die Kultur des Alten Vorderen Orients und greift damalige Vorstellungen von halbgöttlichen Heroen auf (z.B. Gilgamesch). Die Vorstellungen werden ironisch karikiert und damit „entmythologisiert“, indem die angeblichen Heroen auf sündhafte Grenzüberschreitungen zurückgeführt werden.

(–> heutige Analogien: Marvel-Filme; Body Modification)

Die Zusammenstellung der Genealogie und der Geschichte von den Engelehen

Beide Abschnitte (5,1-32 und 6,1-8) handeln von der Vermehrung der Menschen, beide beginnen mit der Nennung von „Adam“ (=„Adam“ oder „Mensch“) und enden mit der Nennung Noahs. Der erste Abschnitt beschreibt die gottgewollte Vermehrung und damit die Verwirklichung des Vermehrungssegens; der zweite Abschnitt beschreibt demgegenüber eine von Gott nicht gewollte Art der Vermehrung, die zum Fluch führt. Als Hoffnungsschimmer wird am Ende Noah genannt, der einzige, der Gnade in den Augen des HERRN findet.

Hauptteil 1: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde
Hauptteil 2: Was aus Himmel und Erde wurde
Hauptteil 3: Was aus Adam wurde
Hauptteil 4: Was aus Noah wurde
Hauptteil 5: Was aus den Söhnen Noahs wurde
Hauptteil 6: Was aus Sem wurde
Hauptteil 7: Was aus Terach wurde: die Geschichte Abrahams und seiner Familie
Hauptteil 8: Was aus Ismael wurde
Hauptteil 9: Was aus Isaak wurde: die Geschichte von Jakob und Esau
Hauptteil 10: Was aus Esau wurde
Hauptteil 11: Was aus Esau wurde: die Geschichte der Edomiter
Hauptteil 12: Was aus Jakob wurde: die Geschichte von Josef und seiner Familie

Hauptteil 4: Was aus Noah wurde: Sintflut, Segen und Fluch über Noahs Söhne (Gen 6,9–9,29)

Die Sintflutgeschichte – drei Zugänge zu den historischen Fragestellungen:

  1. die Geschichte hat so stattgefunden wie beschrieben, d.h. es handelte sich tatsächlich um eine weltweite Flut.
  2. die Geschichte reflektiert eine große Flut, die aber nicht weltweit stattfand, sondern auf den Nahen Osten begrenzt war.
  3. die Geschichte reflektiert altvorderorientalische Vorstellungen über die Sintflut und rückt sie zurecht.

Der Wahrheitsanspruch der Erzählung selbst: eine Kombination von historischer und theologischer Aussageabsicht.

Die Sintflutgeschichte – Theologie

Theologisch bedeutsam ist die Aussage in 8,21 und 9,15, dass Gott, obwohl die Menschen weiter böse sein werden, beschließt, nicht noch einmal eine Flut über die Erde schicken will. Walter Brueggemann: Die Flut hat den Menschen nicht verändert, aber sie hat Gott verändert.

  • Die Katastrophe zeigt, wie Gott auch mit seiner Welt umgehen könnte, es aber nicht tut bzw. nicht mehr tut. Als Schöpfer hat er sowohl die Möglichkeit als auch das Recht, die Schöpfung wieder rückgängig zu machen.
  • Doch von nun an wird Gottes Umgang mit der Welt ein anderer sein –> „Erwählung“: Gott legt seine Maßstäbe von Gerechtigkeit nicht mehr in einer strengen Weise an alle Menschen an, sondern überlässt die Menschen zunächst sich selbst. Im Gegenzug erwählt sich Gott einzelne, um mit ihnen Geschichte zu machen und um durch sie indirekt die anderen zu erreichen (Gen 12,3 Abraham soll zum Segen für alle Familien der Erde werden).

Hauptteil 5: Was aus den Söhnen Noahs wurde: Völkertafel, Turmbau zu Ba-bel (Gen 10,1–11,9)

Ein weiteres Paar von Geschichten, die sich mit derselben Sache aus zwei unterschiedlichen Perspektiven befassen: die Entstehung der Völker.

Die Völkertafel

Ausgehend von den drei Noahsöhnen Sem, Ham und Jafet wird die Herkunft der Völker beschrieben. Insgesamt werden 70 Völker genannt. Dadurch wird symbolisch die Vollzahl der Völker ausgedrückt.

Für moderne Europäer erscheint die Völkertafel zunächst wieder als ein Sachtext ohne Botschaft. Aus der Sicht des Autors und der intendierten Leser geht es dagegen wieder um den Vermehrungssegen und den Auftrag, die Erde zu füllen, der in der Völkern Wirklichkeit wird.

In Genesis 11,1 sind plötzlich alle Menschen wieder an einem Ort und sprechen die gleiche Sprache. Die beiden Abschnitte Völkertafel und Turmbau zu Babel sind demnach nicht chronologisch, sondern thematisch angeordnet, und zwar wieder nach dem Muster „Segen und Fluch“.

Der Turmbau zu Babel

Von allen Texten der Urgeschichte ist die Polemik gegen altvorderorientalische Religion hier am deutlichsten zu erkennen. Die Geschichte spielt auf das Ziggurat von Babel an, eine Stufenpyramide, auf dessen Spitze ein Tempel stand. Der Versuch, den Göttern näherzukommen, wird vom biblischen Text als Selbstüberheblichkeit gebrandmarkt. Was ein „Bab-El“ „Tor zu Gott“ sein soll, ist in Wirklichkeit nur Zeichen der Verwirrung (hebr. balal) des menschlichen Denkens.

Die beiden Abschnitte lassen sich als Einheit mit dem Thema “Segen und Fluch der Völkerwelt” begreifen.

Hauptteil 6: Was aus Sem wurde: Geschlechtsregister von Sem bis Terach (Gen 11,10–26)

Nach der Sprachenverwirrung von Babel wird mit dem Geschlechtsregister von Sem bis Terach und seinen drei Söhnen Abram, Nahor und Haran die Linie der Verheißung fortgeführt.

Es handelt sich wieder um eine lineare Genealogie. Im Gegensatz zu Genesis 5 fehlt die Angabe der jeweiligen Gesamtlebensalter und die Angabe „und er starb“. Dass der Tod Einzug gehalten hat, muss hier im Gegensatz zu Gen 5 nicht mehr weiter thematisiert werden.

Die Lebensalter sinken fortwährend und gehen auf die 120 Jahre zu, die in Genesis 6,3 als Lebensalter genannt sind.

Die zweifache Behandlung von Themen; Segen, Fluch und neue Hoffnung in der Urgeschichte

Urgeschichte - Fazit

Die Urgeschichte erklärt den Zustand der jetzigen Welt also aus

  1. dem göttlichen Segen,
  2. dem Fluch der Sünde, die durch das Tun des Menschen dazugekommen ist und
  3. Ansätzen neuer Hoffnung, da wo Menschen Gott treu bleiben bzw. sich ihm wieder neu zuwenden.

Zum Begriff „Sündenfall“. Dieser wird klassischerweise für die Vertreibung aus dem Garten Eden verwendet. Dies ist zu einem Teil berechtigt: Die Verstoßung aus dem Garten Eden ist der erste und wichtigste Aspekt des Sündenfalls. Allerdings werden in der Urgeschichte noch weitere Stationen des Falls beschrieben. Von daher sollte der Begriff in einem weiteren Sinne für die ganze Urgeschichte verwendet werden.

Sünde der Menschen:

  • Im Garten Eden der Versuch, sein zu wollen wie Gott –> Versuch einer Grenzüberschreitung in den göttlichen Bereich
  • Brudermord: Grenzüberschreitung gegen den Bruder
  • „Engelehen“: Grenzüberschreitung göttlicher/menschlicher Bereich
  • Allgemeine große Sündhaftigkeit vor der Sintflut
  • Turmbau zu Babel: Versuch einer Grenzüberschreitung in den göttlichen Bereich

Darauf folgende Strafe (Fluch) Gottes

  • Verstoßung aus dem Paradies: Verlust des Zugangs zum ewigen Leben, Verlust der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott
  • Verstoßung Kains aus der Gemeinschaft mit den anderen Menschen
  • Reduzierung der Lebensalter als Antwort auf die „Engelehen“
  • Vernichtung aller Menschen außer Noah durch die Sintflut
  • Sprachenverwirrung als Reaktion auf den Turmbau zu Babel

Dies alles zusammen ist nach der Urgeschichte der „Sündenfall“ – wobei die Verstoßung aus dem Paradies als grundlegendes Ereignis die größte Rolle spielt.

Am Ende der Urgeschichte: Der direkte Weg Gottes mit allen Menschen ist an einem Ende angelangt, weil die Menschen Gott ablehnen und seiner Heiligkeit nicht gerecht werden. –> Neuer Weg der Heilsgeschichte über die Erwählung Einzelner – Vätergeschichte.

Zwei Spannungsbögen - zweimal sechs Hauptteile

Die Vätergeschichte (Genesis 12–50)

Es handelt sich wieder um historisch-theologische Erzählungen. Der historische Anspruch ist noch eindeutiger zu bestimmen als bei der Urgeschichte. Die grundlegende theologische Aussageabsicht ist vor allem an der Verheißung an Abraham festzumachen (Genesis 12,1–3):

Und der HERR sprach zu Abram:

Geh

(1) aus deinem Vaterland
(2) und von deiner Verwandtschaft
(3) und aus deines Vaters Hause

in ein Land, das ich dir zeigen will.

(1) Und ich will dich zum großen Volk machen
(2) und will dich segnen
(3) und dir einen großen Namen machen,
(4) und du sollst ein Segen sein.
(5) Ich will segnen, die dich segnen,
(6) und verfluchen, die dich verfluchen;
(7) und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Genesis 12,1–3 bilden den Startpunkt der Geschichte Israels, das „Thema des Pentateuchs“ (David Clines), auf jeden Fall aber den theologische Schlüssel zur Vätergeschichte. Die Aussagen werden an einigen anderen Stellen in der Genesis wiederholt, teilweise auch im Zusammenhang mit einem Bundesschluss, deshalb „Abrahambund“ oder „Erzväterbund“.

Drei Elemente der Verheißung:

  • Land
  • Volk (Nachkommenschaft)
  • Segen und Segensmittlerschaft

In allen Geschichten von Gen 12–50 geht es theologisch gesehen um eines dieser drei Elemente. Sie bilden den roten Faden der Vätererzählung. Daneben haben die einzelnen Abschnitte eigene Schwerpunktthemen.

Aufbau

Die Vätergeschichte besteht, nach den Toledot-Formeln, aus sechs Hauptteilen. Drei davon sind reine Geschlechtsregister, nämlich die Toledot Ismaels und zweimal die Toledot Esaus:

Hauptteil 8: Was aus Ismael wurde: Die Ismaeliter (Gen 25,12–18)

Hauptteil 10: Was aus Esau wurde I: Esaus Familie in Kanaan (Gen 36,1–8)

Hauptteil 11: Was aus Esau wurde II: Der Stamm Edom im Gebirge Seir (Gen 36,9–37,1)

Die anderen drei Tolodot-Abschnitte bilden die drei großen Erzählungen der Vätergeschichte:

Hauptteil 7: Was aus Terach wurde: Die Geschichte Abrahams (Gen 11,27–25,11)

Hauptteil 9: Was aus Isaak wurde: Die Geschichte von Jakob und Esau (Gen 25,19–35,29)

Hauptteil 12: Was aus Jakob wurde: Die Josefsgeschichte (Gen 37,2–50,26)

Die drei Hauptteile entsprechen nicht wie erwartet den drei Generationen der Erzväter. Das liegt daran, dass Isaak, eine wenig proaktive Gestalt, in keiner der Erzählungen eine Hauptrolle übernimmt.

Hauptteil 7: Was aus Terach wurde: Die Geschichte Abrahams (Gen 11,27–25,11)

Die theologischen Themen der Abrahamgeschichte:

a) die Väterverheißung:

  • Abraham als Mittler von Segen/Fluch bei Fremden (Gen 12; 21): Der Pharao bzw. Abimelech von Gerar vergreifen sich an Sara und geraten dadurch unter den Fluch; Bund des Abimelech mit Abraham
  • Abraham als Segensmittler in der Sippe (Gen 13-14; 19): Solange Lot in Abrahams Nähe weilt, hat er Teil an dessen Segen; mit zunehmendem Abstand zu Abraham verliert Lot den Segen
  • Abraham als Segensmittler in der Familie („Haus“; Gen 16-17): Obwohl Ismael nicht der „geplante“ Abrahamsnachkomme ist, bekommt auch er den Segen, Stammvater eines ganzen Volkes zu werden.

b) das Thema „Glaube und Zweifel“:

  • Abraham folgt dem Ruf in ein unbekanntes Land (Gen 12)
  • Abraham gehorcht Gott und opfert (beinahe) seinen einzigen Sohn (Gen 22)
  • Abraham vertraut der Zusage Gottes nicht genug und zeugt mit Hagar einen Nachkommen (Gen 16)

Gen 15,6 „Abram glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“

Hauptteil 9: Was aus Isaak wurde: Die Geschichte von Jakob und Esau (Gen 25,19–35,29)

Die theologischen Themen der Geschichte von Jakob und Esau:

a) die Väterverheißung

  • Die Isaakfamilie als Mittler von Segen/Fluch bei Fremden (Gen 26; 34): Abimelech von Gerar und Sichem (Hewiter) geraten unter den Fluch
  • Jakob als Segensmittler in der Sippe (Gen 29; 31): Laban profitiert vom Segen Jakobs
  • Jakob als Segensmittler in der Familie („Haus“; Gen 29-31): Segen für die zwölf Söhne

b) das Thema „Ringen um den Segen“

  • Rebekka ist mit Zwilligen schwanger. Welcher der beiden wird der Segensträger?
  • Esau: hat von Geburt an das Erstgeburtsrecht, würdigt es aber nicht entsprechend
  • Jakob: ringt von Geburt an darum, den Segen zu bekommen; er täuscht und wird getäuscht; schließlich muss er sogar mit Gott selbst ringen, bevor ihm der Segen endlich bleibend zugesagt wird.

Hauptteil 12: Was aus Jakob wurde: Die Josefsgeschichte (Gen 37,2–50,26)

Die theologischen Themen der Josefsgeschichte:

a) die Väterverheißung

  • Josef als Segensträger ist ein „Glückskind“. Alles, was er tut, wird von Gott gesegnet. Allerdings muss Josef zuerst durch eine Zeit der charakterlichen Reifung, bis er mit dem Segen richtig umgehen kann.
  • Josef wird zum Segen für Potifars Haus.
  • Josef wird zum Segen für das Gefängnis.
  • Josef wird zum Segen für den Pharao und die Ägypter.
  • Erste Erfüllung des Segens „für alle Familien der Erde“ (Gen 12,3): Josef sorgt für Nahrung in ganz Ägypten, aber auch „alle Welt“ kommt, um bei ihm Getreide zu kaufen (Gen 41,57)

b) das Ineinander von menschlicher Verantwortung und göttlicher Vorsehung

  • Das Verhalten Josefs und seiner Geschwister führt zum Zerbrechen der Familie. Aber gerade in Josefs Unglück bereitet Gott die Rettung für die Familie vor. Nur indem Josef nach Ägypten verkauft wird, bekommt er die Möglichkeit, für Nahrung für die Familie zu sorgen.
  • Gen 50,20 „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“

Am Ende der Vätergeschichte hat sich die Verheißung Gottes an Abraham teilweise erfüllt. Tatsächlich hat Abraham eine große Nachkommenschaft bekommen, die jetzt zumindest schon aus 70 männlichen Familienmitgliedern besteht. Allerdings befindet sich diese Familie nicht im verheißenen Land Kanaan, sondern in Ägypten. Mit den Worten „in Ägypten“ endet das Buch.

Abschnitt grün

Text

Abschnitt weiß

Text

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach