Das 2.-4. Buch Mose / Exodus + Leviticus + Numeri

Thema: Bundesschluss am Sinai

Exodus, Levitikus und Numeri als ein zusammenhängendes „Buch“?

Traditionell besteht der Pentateuch aus den fünf Büchern Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Dies gilt aber nicht in literarischer Hinsicht. Literarisch gesehen sind zwar Genesis und Deuteronomium als eigenständige Bücher innerhalb des Pentateuchs anzusehen, die Bücher Exodus, Levitikus und Numeri bildet aber einen zusammenhängenden Erzählblock.

Anhaltspunkte dafür sind z.B.:

  • Der Aufenthalt Israels am Berg Sinai erstreckt sich von Exodus 19 bis Numeri 10, über zwei Buchgrenzen hinweg.
  • In Exodus 25–31 bekommt Mose den Auftrag, die Stiftshütte zu errichten und die Priesterschaft zu weihen. In den übrigen Kapitel des Exodusbuches wird jedoch nur die Errichtung der Stiftshütte beschrieben; Opferkult und Priesterweihe folgen erst in
    Levitikus 1–10.

Die Frage, ob Exodus–Levitikus–Numeri als ein oder drei Bücher anzusehen sind, ist dann von Bedeutung, wenn nach den übergreifenden Zusammenhängen der Erzählung gesucht wird.

Der niederländische Theologe Hendrik Koorevaar vergleicht die Tora mit einem Altarbild:

  • linker Seitenflügel: Genesis
  • großes Mittelbild: Exodus, Levitikus, Numeri
  • rechter Seitenflügel: Deuteronomium

Literarische Gattung und literarische Besonderheiten von Exodus–Levitikus–Numeri

Literarische Gattung: historisch-theologische Erzählung.

Besonderheit: Neben Erzähltexten sind auch Gesetzestexte, Zensuslisten, Beschreibungen der Stiftshütte und ähnliches aufgenommen, und zwar kombiniert mit der Erzählung. Dies widerspricht modernen, „westlichen“ Maßstäben von Literatur. Doch müssen die Texte in ihrem eigenen Licht gesehen werden:

  1. Nicht nur durch die Erzählungen, sondern auch durch die Listen und die Gesetzestexte werden theologische Aussagen vermittelt. Es handelt sich somit um theologisch vollwertige Bestandteile des Buches.
  2. Gesetzestexte, Listen, Beschreibungen usw. sind an den jeweils inhaltlich bzw. theologisch passenden Stellen in die Erzählung eingefügt. (Beispiele: Die Bundesgesetze erscheinen im Text dort, wo auch die Erzählung den Bundesschluss behandelt; die Gesetze über Tieropfer erscheinen direkt bevor in der Erzählung die ersten Tiere geopfert werden; Gesetze betreffend den Transport der Stiftshütte werden gegeben, gerade bevor die Israeliten sich auf ihre Reise durch die Wüste begeben usw.).

Im biblischen Text sind Elemente von Gesetzestexten, Vertragsdokumenten, Genealogien und anderen Listen mit einer übergreifenden Erzählung zu einer literarisch-theologischen Einheit verschmolzen.

Der literarische Aufbau von Exodus–Levitikus–Numeri

Dazu bisher nur wenige wissenschaftliche Studien. Gründe:

  • Exodus, Levitikus und Numeri wurden in der Vergangenheit meist einzeln betrachtet.
  • Exodus, Levitikus und Numeri wurden in der Vergangenheit meist im Blick auf Quellen, Herkunft und Entstehungsprozesse und wenig aus literarischer oder literaturwissenschaftlicher Perspektive betrachtet.

Koorevaar betrachtet die Bücher dagegen als literarische Einheit und unter literarischer Perspektive.[1] Er sieht einen konzentrischen Aufbau von Exodus–Levitikus–Numeri, in den neun oben angegebenen Abschnitten, wobei Lev 11–24 (Abschnitt 5) das Zentrum bildet.

Die beschriebenen Ereignisse haben an sich einen „latent konzentrischen“ Aufbau: Befreiung aus Ägypten – Wüstenwanderung – Sinai – Wüstenwanderung – Einnahme Kanaans. Die Sinaioffenbarung ist auch inhaltlich das zentrale Ereignis.

Eine Interpretation im Sinne einer Konzentrik bietet sich daher an. Die Feineinteilung in neun Abschnitte kann weiter diskutiert werden. Nach Koorevaar bildet der Versöhnungstag in Lev 16 das Zentrum. Dies wäre theologisch hochgradig signifikant. Auch andere Ausleger sehen (unabhängig vom literarischen Gesamtaufbau Ex-Lev-Num) Lev 16 als einen literarisch zentral stehenden Abschnitt an.

[1]     H. Koorevaar, »Eine strukturelle Theologie von Exodus–Levitikus–Numeri: Durchdringen ins heilige Herz der Tora«, in: H. Klement und J. Steinberg, Hrsg., Freunde an Gottes Weisung: Themenbuch zur Theologie des Alten Testaments, 2. Aufl. (Riehen/Basel: arteMedia, 2012), 87–131.

Auf dieser Seite

1. Die Sklaverei Israels in Ägypten und die Vorbereitung Moses, des Befrei-ers (Ex 1,1–6,27)

Die Unterdrückung Israels in Ägypten (Ex 1):

  • Mit seinem Versuch, das Volk zu dezimieren, gerät der Pharao in Konflikt mit der göttlichen Verheißung an Abraham, dass Israel ein sehr großes Volk werden wird.

Mose: Geburt, Errettung, Flucht nach Midian, Berufung, Beschneidung, Rückkehr nach Ägypten (Ex 2–4):

  • Der Name Gottes nach Exodus 3:

JHWH, Die Juden scheuten sich, den Namen Gottes auszusprechen. Deswegen sind nur die Konsonanten überliefert und keine (später aus praktischen Gründen eingefügten) Vokalzeichen. Aus verschiedenen Quellen rekonstruierte Aussprache: „Jahwe“.

In Exodus 3,14 Ableitung der Bedeutung vom Verb hajah „sein, existieren“, „ich bin, der ich bin“, wobei weniger um die Existenz Gottes an sich geht, sondern mehr noch um seine Gegenwart: „ich bin da, und zwar so, wie ich da bin“ / „ich werde mich erweisen, wie ich mich erweisen werde“.

Die Aussage „ich bin da“ wird in der folgenden Geschichte bestätigt. An Gott kommt keiner vorbei. Dies darf Israel und dies muss der Pharao lernen.

Erste Begegnung mit dem Pharao – noch härtere Bedrückung Israels (Ex 5):

  • Literarisch gesehen eine retardierendes Moment, die Spannung wird erhöht: Der erste Befreiungsversuch schlägt ins Gegenteil um; niemand scheint dem Pharao Einhalt gebieten zu können; selbst die Israeliten lehnen Mose und Aaron ab.

Bestätigung der Sendung, die Vorfahren von Mose und Aaron (Ex 6):

  • Gott wiederholt seinen Auftrag an Mose. Die Spannung zwischen dem Pharao einerseits und Gott andererseits könnte nicht größer sein.
  • Die Genealogie Moses und Aarons liefert die noch fehlenden biographischen Informationen für die Hauptpersonen nach, bevor die eigentliche Handlung beginnt. Gleichzeitig bildet sie (nach Koorevaar) eine Inclusio mit der Genealogie in Ex 1.
  • Die Genealogie endet mit der Nennung von Pinhas, der in Numeri 25 noch eine wichtige Rolle spielen wird.

2. Die Befreiung aus Ägypten und die Reise zum Berg Sinai (Ex 6,28–18,27)

Einführung (Ex 6,26–7,7):

  • Zusammenfassung vom Stand der Dinge
  • Dass der Pharao sein Herz verhärtet, wird für Gott zum Anlass seine Macht umso mehr zu beweisen, so dass die Menschen ihm umso mehr vertrauen.

Die ersten neun Plagen (Ex 7–10):

  • Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten a) Wunder Gottes; b) natürliche Ereignisse; c) jede Plage als Demütigung eines bestimmten ägyptischen Gottes; in jedem Fall haben die Plagen die Funktion, Gottes Macht über die Natur zu demonstrieren.
  • Die Plagen steigern sich in ihrer Härte; bei den ersten Plagen ist ein Element der Komik enthalten: die ägyptischen Götter werden verspottet.

Die zehnte Plage und das Passafest (Ex 11–13):

  • Erzählung und Liturgie sind miteinander verwoben. Das Ereignis selbst ist „Liturgie“. Auch sind der Erzählung Gesetzestexte über die Passafeier beigefügt.
  • Das Blut, das an die Türpfosten gestrichen wird, ist das Symbol für das Leben, das gegeben wurde, um die Erstgeborenen der Israeliten freizukaufen.

Der Durchzug durch das Schilfmeer (Ex 14–15):

  • das größte aller hier berichteten Wunder, das wichtigste Ereignis in der Geschichte Israels, eine der bekanntesten Erzählungen der hebräischen Bibel.
  • Das Ereignis ist von Gott „inszeniert“. Er nutzt es, um abschließend noch einmal seine Macht zu erweisen, indem er den Pharao aller militärischer Möglichkeiten beraubt.
  • Die Israeliten können nichts anderes tun als staunen (Ex 15 Lied des Mose).
  • Die Israeliten zogen sicher nicht durch das rote Meer (Golf von Suez), sondern durch eines der Binnengewässer oberhalb des Golfs (wörtlich „Schilfmeer“). Für die genaue Reiseroute werden mehrere Optionen diskutiert.

Die Wüstenwanderung zum Sinai (Ex 16–18):

  • In der Wüste benötigt das Volk göttliche Unterstützung, um zu überleben –> Manna
  • Jitro, Moses Schwiegervater, stößt zum Volk und hilft ihm, die Verwaltung besser zu organisieren.
Exodus-Leviticus-Numeri

Bibelkunde-Skript

Pentateuch Entstehung

wissenschaftliches Bibelkunde-Skript

3. Der Empfang des Gesetzes auf dem Berg Sinai (Ex 19–34)

Der Aufenthalt Israels am Berg Sinai erstreckt sich von Ex 19 bis Num 10. Traditionell wird dieser Abschnitt als „Sinai-Perikope“ bezeichnet.

Der Bundesschluss (Ex 19–24), mit dem „Bundesbuch“ (Ex 20–23):

  • Am Berg Sinai wird ein Bund zwischen Gott und Israel geschlossen, der das Verhältnis zwischen beiden Parteien regelt und damit die Basis für den alttestamentlichen Glauben legt.
  • Nachdem Gott das Volk aus Ägypten befreit hat, macht er es zu seinem besonderen Eigentum, zu einem „Königreich von Priestern“ und einem „heiligen Volk“ (Ex 19,4–6). Wie Priester Mittler zwischen Gott und Mensch sind und Gottes Segen weitergeben, so ist Israel erwählt, um Gottes Segen an die anderen Nationen zu vermitteln. Damit ist der Abrahambund aufgenommen, der die Segensmittlerschaft für Abraham und seine Nachkommenschaft anspricht (Gen 12,1–3).
  • Der Sinaibund tritt in Kraft, nachdem beide Parteien ihm zugestimmt haben. Gott bringt eine Vorleistung ein: Die Befreiung Israels aus der Sklaverei. Der Bund selbst enthält Verpflichtungen für beide Seiten:
  • Gott verpflichtet sich, das Volk in das verheißene Land zu bringen, es zu segnen und in seiner Mitte zu wohnen.
  • Das Volk verpflichtet sich, als heiliges Volk entsprechend seiner Erwählung zu leben.
  • Der Sinaibund entspricht von seiner Form her altorientalischen Vasallenverträgen. Solche Verträge enthalten regelmäßig Abschnitte über Segen (bei Bundestreue) und Fluch (bei Bundesbruch). Im Pentateuch sind solche Abschnitte in Lev 26, Deu 28–30 sowie in Ex 23,20–33 enthalten. (Zu den außerbiblischen Parallelen siehe unten.)
Die Zehn Gebote

Der zentrale Text des Sinaibundes sind die Zehn Gebote. Hier werden die grundlegenden Werte festgelegt, nach denen Israel als heilige Nation leben soll:

Übersicht und unterschiedliche Zählungen der Zehn Gebote:

 

katholisch,
lutherisch

orthodox,
reformiert

jüdische Tradition

Ich bin Jhwh, dein Gott, der dich befreit hat …

1

1

1

Du sollst keine anderen Götter neben mir haben …

2

Du sollst dir kein Bildnis machen …

2

Du sollst den Namen Jhwhs nicht missbrauchen …

2

3

3

Du sollst den Sabbattag heiligen …

3

4

4

Du sollst Vater und Mutter ehren …

4

5

5

Du sollst nicht töten (Mord/Totschlag)

5

6

6

Du sollst nicht ehebrechen

6

7

7

Du sollst nicht stehlen

7

8

8

Du sollst kein falsches Zeugnis reden…

8

9

9

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus …

9

10

10

Du sollst nicht begehren … was dein Nächster hat

10

In der hebr. Bibel werden die Zehn Gebote zweimal wiedergegeben: Ex 20,2–17 und Dtn 5,6–21. Die beiden Abschnitte weichen leicht voneinander ab:

  • Abweichende Begründung beim Sabbatgebot
  • Abweichende Reihenfolge beim Verbot des Begehrens betreffend „Haus“ und „Frau“.

Auf die Zehn Gebote folgen einige Kapitel mit weiteren gesetzlichen Regelungen. Es handelt sich meistens um sog. „kasuistische Gesetze“ in der Form „wenn … dann“. Im Unterschied dazu werden die Zehn Gebote als „apodiktische Gesetze“ bezeichnet.

Das Bundesbuch

Die Zusammenstellung von Gesetzen in Kap. 20–23, das „Bundesbuch“, umfasst verschiedene Bereiche des täglichen Lebens. Die Gesetze sind beispielhaft zu verstehen, d.h. sie bieten auch Orientierung für nicht genannte, aber vergleichbare Fälle. Altvorderorientalische Gesetzessammlungen werden nicht unbedingt strikt dem Buchstaben nach befolgt, sondern bilden gewissermaßen die „Diskussionsgrundlage“ für Gerichtsverhandlungen.

Das Bundesbuch ist keine einfache „Sammlung“, sondern wurde gezielt zusammengestellt:

  • äußerer Rahmen: 20,22–26 und 23,20–33 handeln vom Verhältnis zwischen Gott und Israel.
  • innerer Rahmen: 21,2-11 und 22,20-23,12 handeln von der Sklavenfreilassung, vom Schutz der Schwachen und von der Feindesliebe
  • zentrale Abschnitte: 21,12-22,19 handelt in erster Linie vom Thema „Schadenersatz“ bzw. dem „gerechten Ausgleich“. In diesem Zusammenhang steht auch die Talionsformel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

In Kap. 24 wird der Bund feierlich geschlossen, wobei 70 die Ältesten stellvertretend für das ganze Volk stehen.

Gesetze über die Stiftshütte und die Priesterschaft (Ex 25–31):

  • Heutige Leser haben oft wenig Verständnis für die detaillierten Anweisungen und Beschreibungen. Doch muss bedacht werden, dass es um etwas sehr Wichtiges geht, nämlich die Begegnung zwischen Gott und Mensch, konkret, das Wohnen Gottes inmitten seines Volkes.
  • Drei Richtlinien (25,1–9):
  1. Die Entscheidung, die Stiftshütte zu unterstützen, ist freiwillig
  2. Wird die Stiftshütte gebaut, muss sie aber aus den besten Materialien und exakt nach dem göttlichen Plan errichtet werden.
  3. Die Stiftshütte und der Kult sind nichts weniger als das Mittel, durch das Gott mitten unter seinem Volk leben will.
  • Die Beschreibung beginnt bei den heiligsten Objekten, die Gottes Gegenwart symbolisieren. Von dort geht es nach außen weiter mit dem Heiligtum und anschließend dem Vorhof.
  • Tragbare Heiligtümer sind auch aus der Umwelt Israels bekannt. Einmalig ist jedoch, dass Israels Heiligtum kein Gottesbild enthielt.

Das goldene Kalb und die Erneuerung des Bundes (Ex 32–34):

  • Die Israeliten sind kurz davor, ihren Gott, ihre Identität als Volk und sogar ihr Leben zu verlieren.
  • Nur durch Mose als mutigen Fürsprecher kann die Katastrophe abgewendet werden.
  • Doch ist die Unschuld verloren, Gott möchte, dass das Begegnungszelt nun außerhalb des Lagers aufgestellt wird.
  • Dennoch macht Gott den Neuanfang möglich. Die zerbrochenen Bundestafeln werden durch neue ersetzt. Gott erlaubt Mose sogar, ihn zu sehen. Damit bestätigt er seine bleibende Nähe zum Volk.
  • Die Geschichte vom goldenen Kalb ist theologisch gesehen ein Modell (Paradigma) für die gesamte Geschichte Israels: Immer wieder ist der Bund bedroht oder wird gebrochen. Immer wieder besteht aber auch die Hoffnung, dass Gott einen Neuanfang möglich macht.

4. Der Bau des Begegnungszeltes und die Priesterweihe (Ex 35–40, Lev 1–10)

Die Errichtung der Stiftshütte (Ex 35–40):

  • Die Beschreibung der Errichtung der Stiftshütte stimmt über weite Strecken fast wörtlich mit den Anordnungen in Kap. 25–31 überein. Die für uns umständlich wirkende Wiederholung hat das Ziel aufzuzeigen, dass das Volk nun Gott völlig gehorsam ist. Dieser Zusammenhang wird auch durch die wiederholte Aussage bestätigt, dass alles ausgeführt wird, „wie der HERR Mose befohlen hatte“ (Ex 39,1.5.7.21.26.29.31.32.42.43; 40,19ff).
  • Nachdem die Stiftshütte fertiggestellt ist, erfüllt Gottes Wolke das Zelt, ein Zeichen dafür, dass Gott die Stiftshütte angenommen hat. Mose kann allerdings die Stiftshütte noch nicht betreten, der Kontakt zwischen Mensch und Gott ist noch nicht möglich. Der Grund: Es gibt noch keine Priesterschaft.
  • Tatsächlich gibt Ex 25–31 auch Anweisungen, die die Priesterweihe betreffen. Deren Ausführung wird aber im „Buch“ Exodus nicht mehr besprochen, sondern erst in Lev 8–10. Davor erscheinen noch die Gesetze über die Tieropfer.

Opfergesetze (Lev 1–7):

  • Im Zusammenhang mit der Priesterweihe in Lev 8–10 werden einige Tieropfer gebracht. Die dazu notwendigen gesetzlichen Regelungen werden in Lev 1–7 in die Erzählung eingeschoben.
  • Die Tieropfer zeigen: Sünde ist ein Problem, wenn es darum geht, sich dem heiligen Gott zu nähern. Für Sünde muss ein Ausgleich geschaffen werden. Dabei kann das Prinzip der Stellvertretung angewendet werden: Blut von Tieren wird für die Sünde von Menschen vergossen. Die genau festgelegten Abläufe drücken den Respekt vor dem Heiligen aus.

Die Einsetzung des Priestertums und der Tod von Nadab und Abihu (Lev 8–10):

Der Tod von Nadab und Abihu erscheint heutigen Lesern oft als harsche und ungerechte Strafe. Wie versteht sich der Text hier selbst?

  1. Kultische Handlungen sind nicht bloße Zeremonien, sondern Wege, dem heiligen Gott zu begegnen, mit Mitteln, die Gott selbst festgelegt hat. Ein leichtfertiger Umgang mit dem Kult drückt fehlenden Respekt vor Gottes Heiligkeit aus und ist somit ein Sakrileg.
  2. Die Stiftshütte ist in Zonen zunehmender Heiligkeit eingeteilt. Nadab und Abihu missachten diese Zonen und bringen etwas Unheiliges in den Bereich des Heiligen. Sie betreten das Allerheiligste – was nur der Hohepriester einmal jährlich tun darf. Wahrscheinlich ist eine stolze und arrogante Haltung impliziert.
  3. Nadab und Abihu missachten Gottes Anordnung an einem kritischen Moment, nämlich der Einsetzung des israelitischen Priestertums überhaupt.

Biblische Querverbindungen:

  • Das Problem des abgelehnten Opfers ist typologisch vorbereitet in der Geschichte von Kain und Abel.
  • Das neutestamentliche Gegenstück zu Nadab und Abihu sind Ananias und Saphira, die ebenfalls in der kritischen Gründungssituation unlauter handeln und mit dem Tod bestraft werden (Apg 5).

Die Erzählung von Nadab und Abihu wird außerdem zum mahnenden Beispiel, die Gesetzesvorschriften, die im literarischen Kontext gegeben werden, nicht leichtfertig zu behandeln oder zu übergehen.

5. Das Reinheitsgesetz, der Versöhnungstag, das Heiligkeitsgesetz (Lev 11–24)

Das Volk Israel ist gerufen, ein „Königreich von Priestern“ und ein „heiliges Volk“ zu sein (Ex 19,6). Das Ziel der Gesetze von Lev 11–15 und 17–24 ist es, dieses Ideal praktisch zu machen für das Alltagsleben.

Das Reinheitsgesetz (Lev 11–15): Die Frage, warum manche Tiere als rein, andere als unrein anzusehen sind, wurde schon viel diskutiert. Wahrscheinlich spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:

  • Im alten Orient waren Priester an bestimmte Essensvorschriften gebunden, um ihren besonderen Status zum Ausdruck zu bringen. Nach der Tora soll ganz Israel ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.
  • Konkret wird der Gedanke der Ganzheit und Integrität vermittelt: Nur die Tierarten, die einem typischen, normativen Muster entsprechen, werden als rein angesehen. Dies stellt keine biologische Wertung dar, sondern es geht darum, den heiligen Lebensstil auch in Bezug auf das Essen zum Ausdruck zu bringen.
  • Zumindest in einzelnen Fällen ist eine Abgrenzung gegenüber heidnischen Ritualen der Grund (z.B. Exodus 23,19).

Gerne angeführt werden auch hygienische Gründe. Die Erklärungen greifen aber nur in manchen Fällen.

Thema „Aussatz“ (Kap. 13–14). Hierunter fällt die Lepra, aber auch alle möglichen Arten von Hautausschlägen, wie auch Schimmelbefall an Häusern. Bei der Besprechung des „Aussatzes“ liegt eine Kombination hygienischer und kultischer Aspekte vor. In manchen Fällen müssen z.B. Opfer gebracht werden, in anderen, z.B. gefährlicher Schimmelbefall am Haus, müssen die entsprechenden Steine herausgebrochen werden.

Das Heiligkeitsgesetz (Lev 17–24): Tierblut ist von besonderer Bedeutung. Blut wird als der Träger des gottgegebenen Lebens angesehen (siehe Gen 9,4–6), und es hat daher auch im kultischen Kontext eine besondere Bedeutung (siehe Lev 1–7, 16). Deshalb darf es nicht einfach gegessen oder irgendwo ausgegossen werden.

Die kurze Erzählung über den Gotteslästerer in Kap. 24 demonstriert die Anwendung der Gesetze, die gerade gegeben wurden.

Der Versöhnungstag (Lev 16):

  • In der Mitte zwischen dem Heiligkeits- und Reinheitsgesetz platziert, wird zu einem Schlüssel zum Verständnis des Gesetzes.
  • Der Anspruch der Heiligkeit kann vom Menschen niemals völlig erfüllt werden. Eine Reinigung von außen (durch Gott) wird benötigt, hier symbolisiert im „Sündenbock“.
  • Der Sündenbock trägt symbolisch die Sünde aus Israels Mitte fort à Reinigung Israels. Aber auch die Stiftshütte wird symbolisch gereinigt durch Besprengung mit Blut.
  • Das NT bezieht dieses Konzept auf Jesus Christus (z.B. Joh 1,29, 2 Kor 5,21).

6. Das Gesetz über das Land; Segen und Fluch (Lev 25–27)

  • Besonderheit: Die Gesetze von Lev 25–27 werden Mose „auf dem Berg Sinai“ gegeben (25,1; 26,46; 27,34), obwohl sich Mose nach der Erzählung nicht mehr auf dem Berg befindet und nichts in der umgebenden Erzählung darauf hindeutet, dass er den Berg ein weiteres Mal besteigt.
  • Es handelt sich wahrscheinlich um eine Umstellung der Chronologie aus literarisch-theologischen Gründen: In historischer Hinsicht wird deutlich gemacht, dass die Gesetze Mose bei seinem ursprünglichen Aufenthalt auf dem Berg gegeben wurden, in der Erzählung sind sie aber weiter nach hinten versetzt, möglicherweise um die Thematik der Stiftshütte (Ex 25–Lev 10) nicht zu unterbrechen.

Lev 25 enthält Vorschriften zum Umgang mit dem Land (Sabbatjahr, Erlassjahr). Mit den Gesetzen soll Spekulation und Großgrundbesitz usw. vermieden werden. Jede Familie soll ihr Stück Land besitzen, von dem sie leben kann („Arbeitsplatzgarantie“).

Lev 26+27 „Segen und Fluch“: Typisches Element altvorderorientalischer Verträge: Segen bei Einhaltung, Fluch bei Nichteinhaltung des Vertrags. Konkret sind die Segen und Flüche vor allem mit dem Ackerbau verbunden, daher die Zusammenstellung Kap. 25–27.

Genauer Aufbau von Kap. 26–27 in drei Teilen: Segen, Fluch, Neuanfang. Wichtiges theologisches Muster zur Deutung der Geschichte Israels.

Der angebotene Neuanfang korrespondiert mit der Idee des Sabbatjahres und des Erlassjahres. –> Das streng nach dem Muster von Tun und Ergehen aufgebaute Kapitel 26 über Segen und Fluch ist von zwei Kapiteln umrahmt, die die Barmherzigkeit und das Angebot zum Neuanfang in den Vordergrund stellen.

7. Die Heiligung Israels rund um das Begegnungszelt (Num 1–6)

Zusammenstellung verschiedener Abschnitte, die demonstrieren, wie das Volk Israel bereitgemacht wird, als Gottes Volk die Reise ins verheißene Land zu beginnen.

  • Num 1–2 Volkszählung der zwölf Stämme im Sinne einer Musterung oder Mobilisierung; Festlegen der Marschordnung
  • Num 3–4 Separate Zählung der Priester und Leviten; Dienst der Leviten beim Aufbruch des Lagers
  • Num 5–6 Verschiedene Gesetze betreffend kultische Unreinheit u.a.. Funktion: Endgültige Reinigung des Volkes

Der aaronitische Segen in Num 6,22–27 schließt die Vorbereitung des Volkes und auch den gesamten Aufenthalt am Berg Sinai (Exodus 19 bis Numeri 6) ab. –> Der Segen bedeutet gleichzeitig Sendung.

8a. Die Reisevorbereitungen (Num 7,1–10,10)

Auf den ersten Blick sehr diverses Material, das chronologisch eher Lev 8–10 zuzuordnen ist. Funktion dieser Zusammenstellung ist die Reisevorbereitung.

  • Die Weihegaben der Stammesfürsten müssen transportiert werden. Dies geschieht mit sechs Ochsenkarren. Daher die Liste der Weihegaben in Num 7.
  • Viele Leviten werden für den Transport benötigt. Daher der Bericht über die Weihe der Leviten in Num 8.
  • Auf der Reise kann das Passafest unter Umständen nicht zum üblichen Termin gefeiert werden (9,10). Daher das Gesetz für den alternativen Passatermin in Num 9.
  • Ebenso haben die Wolken- und Feuersäule und die Trompeten mit der Reise zu tun (Num 9f).

Viele Ausleger rechnen Num 7–10 noch zum Aufenthalt am Sinai (daher die „Sinaiperikope“ von Exodus 19 – Numeri 10). Geographisch betrachtet trifft dies zu. Von der literarisch-theologischen Struktur der Erzählung her bildet aber der Segen in Num 6 den geeigneten Abschluss für die geistliche Vorbereitung des Volkes, während Num 7–10 mit praktischem Bezug auf die folgende Reise zusammengestellt sind. Daher die abweichende Einteilung bei Koorevaar.

8b. Die Reise vom Sinai zur Grenze Kanaans (Num 10,11-26,65)

Die Reise vom Sinai bis an die Grenze Kanaans (Num 10–12): Die Reise ist von mehreren großen Konflikten gekennzeichnet.

Die Aussendung und Rückkehr der Kundschafter (Num 13–14): Der negative Höhepunkt ist erreicht, als die Kundschafter zurückkehren und das Land für uneinnehmbar erklären. Sie und das Volk trauen Gott nicht zu, dass er sein Versprechen wahr machen kann.

Theologisches Muster, das in Exodus und Numeri häufiger vorkommt:

  • Die Israeliten sündigen
  • Gott kündigt eine Strafe an bzw. beginnt das Volk zu strafen
  • Mose tritt vor Gott für das Volk ein
  • Gott mildert die Strafe oder setzt sie sogar ganz aus.

Das Muster zeigt die Spannung zwischen Gottes Heiligkeit und seiner Liebe. Dadurch ist es möglich, mit ihm zu verhandeln. Mose erscheint als Mittler (wie der größere Mittler Jesus Christus im NT).

Gesetze für die Hoffnung auf das Land (Num 15): Wieder ist ein Block von Gesetzestexten eingeschoben. Die Funktion ist, trotz der angekündigten 40 Jahre Wüstenwanderung die Hoffnung auf das Land zu erhalten.

  • So beginnen die Blöcke 15,1–16 und 15,17–21 jeweils mit dem Satz „Wenn ihr in das Land kommt …“ – Das Volk wird reichen Ertrag haben und daher auch Speis- und Trankopfer bringen können.
  • Die übrigen Regelungen behandeln das Problem, dass Gottes Gesetze im Lauf der 40 Jahre in Vergessenheit geraten könnten. Daher ein spezielles Gesetz über Sünden aus Versehen und die Vorschrift, Quasten an den Kleidern zu befestigen, die an die Gesetze erinnern sollen.

Aufruhr gegen die Priesterschaft; Bedeutung der Priesterschaft (Num 16–19): Der nächste Aufruhr wird zum Anlass, die Aufgabenbereiche der Priester und Leviten zu definieren. Die Priester haben die Aufgabe, das Volk mit Gott zu versöhnen.

Annäherung an Kanaan, Mirjam und Aaron sterben, Moses’ Tod wird angekündigt (Num 20): Mose schlägt den Fels, anstatt mit ihm zu sprechen. Wegen dieser Sünde darf er das verheißene Land nicht betreten. Die Strafe erscheint harsch. Doch es geht darum, dass Mose vor dem versammelten Volk sehr lax mit einer göttlichen Anweisung umging und damit die Heiligkeit Gottes missachtete (20,12; siehe Psalm 106,32–33; und zur typologischen Auslegung auf Jesus 1Kor 10,4).

Die bronzene Schlange (Num 21,4–9): Das Symbol der Schlange am Stab ist auch aus der griechischen Mythologie bekannt (Aeskulap-Stab). Das NT deutet die Stelle typologisch auf Jesus Christus hin (Johannes 3,14–16; 2Korinther 5,21).

Die Eroberung des Ostjordanlandes (Num 21):

Strategie bei der Einnahme Kanaans: Statt von Süden soll das dicht besiedelte Kernland von Osten angegriffen und damit in zwei Teile geteilt werden, die jeweils einzeln eingenommen werden können.

Deswegen erobern die Israeliten zuerst das dünner besiedelte Ostjordanland und lagern sich dann in den Ebenen Moabs, gegenüber Jericho, um nach Westen vorzustoßen (Weiteres dazu siehe Josua).

Bileam (Num 22–24): Bileam ist auch von einem außerbiblischen Text bekannt: In Tell Deir Alla (= Sukkoth), nördlich der Ebenen Moabs, wurde eine aramäische Inschrift gefunden, die „Prophetien Bileams, Sohn des Beor, Seher der Götter“ enthält. Die Inschrift ist auf ca. 800 v.Chr. datiert, der Inhalt kann auch aus einer früheren Zeit stammen.

Neue Zählung der Stämme Israels (Num 26): Nachdem die in Num 1–2 gemusterte Generation verworfen war (40 Jahre Wüstenwanderung), wird nun die neue Generation mobilisiert und damit vorbereitet, das verheißene Land einzunehmen.

9. Die Einnahme des Ostjordanlandes und die Vorbereitung der Inbesitz-nahme Kanaans (Num 27–36)

Die letzten zehn Kapitel enthalten wieder sehr unterschiedliches Material. Das übergreifende Thema ist die Vorbereitung für die Einnahme des verheißenen Landes.

Die Töchter des Zelofad erscheinen am Anfang und am Ende des Blocks und bilden einen Rahmen um das übrige Material. In beiden Fällen geht es um spezielle Fälle bei der Landverteilung bzw. der Vererbung von Land. Es geht darum, dass das Land auch bei der Familie bleibt, wenn diese nur weibliche Nachkommen hat. Erst nachdem auch die Sonderfälle geklärt sind, ist das Volk bereit, das Land einzunehmen.

Gesetz über regelmäßige Opfer und über Gelübde; der Sieg über die Midianiter (Num 28–31):

Die Beschreibung der täglichen, wöchentlichen und jährlichen Opfer (Kap. 28–29) überlappt inhaltlich mit einigen anderen Texten, die sich mit Opfern und Festen befassen (Exodus 29,38–41; Levitikus 1–7; 23; Numeri 15). In Num 28f liegt ein besonderer Akzent auf den Arten und Anzahlen von Tieren, die die Priester jeweils zu opfern haben. Die Gesetze werden vermutlich erst hier gegeben, weil die Priester bisher nicht über die Ressourcen verfügten, die Vorschriften durchzuführen, aber im Begriff sind, diese Ressourcen zu erhalten: der Feldzug gegen die Midianiter (Num 31) wird eine reiche Beute in Form von Tieren einbringen.

Der Gesetzestext in Kap. 30 bespricht Fälle, in denen ein Vater oder Ehemann einen Schwur seiner Tochter bzw. Ehefrau rückgängig machen kann. Das Gesetz ist wahrscheinlich an dieser Stelle gegeben, weil die Israeliten bei dem Feldzug auch junge Frauen von den Midianitern erbeuten. Viele davon haben möglicherweise ihren Göttern Gelübde gemacht, die gelöst werden müssen.

Die Schlusskapitel (Num 32–36):

Num 34 beschreibt die Grenzen Kanaans (genau in der Art, wie es auch in ägyptischen Quellen des 14. und 13. Jh. v.Chr. dokumentiert ist). Es handelt sich um das Ideal; Israel hat das Land niemals in diesem Umfang besessen. Die Leviten bekommen kein eigenes Stammesgebiet, sondern verschiedene Städte im ganzen Land, zusammen mit dem Land bis zu einer Entfernung von 1000 Ellen (ca. 450 m).

Das Buch Numeri endet recht abrupt, aber nicht unabsichtlich, an dem Moment, wo Israel den Jordan überqueren soll, um in das Land Kanaan einzuziehen. Alle Vorbereitungen sind getroffen, alle Gebote zum Leben im Land sind gegeben. Nun wartet der Leser darauf, dass die heilige Nation in ihr verheißenes Land einzieht.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach