Das Buch 1.+2. Samuel

Thema/Inhalt: „Kann ein Mensch König sein über Gottes Volk?“

Thema des Buches

Kann ein Mensch König sein über Gottes heiliges Volk? Das ist die Frage, die hinter der Präsentation der drei Hauptcharaktere des Buches steht:

  • Samuel, der letzte Richter, steht für die direkte Herrschaft Gottes durch den Geist Gottes. Er leitet das Volk an, sich von Gott selbst führen zu lassen. Samuels Aufgabe ist es, gegen seinen eigenen Willen, die politische Monarchie in Israel zu errichten.
  • Saul ist der erste König der neu entstehenden Monarchie. Er steht für die Herrschaft des unvollkommenen Menschen, der sich nicht mehr an Gott und seine Gebote gebunden weiß, sondern pragmatisch, willkürlich und selbstherrlich entscheidet. Wegen seines Ungehorsams verwirft Gott ihn, während er noch regiert.
  • David schließlich ist der König „nach Gottes Herzen (Willen)“ (Apg 13,22; vgl. 1Sam 13,14). Auch er handelt unvollkommen, hält aber trotz allem an Gott fest. Gott segnet ihn und verheißt ihm eine ewig währende Dynastie.

Auf dieser Seite

Zeitgeschichte und Datierung der Ereignisse

Wichtigster Feind Israels aus der Zeit sind die Philister – Seevölker, die um 1200 v.Chr. an der Küste Kanaans landeten und sich dort niederließen (siehe auch zum Richterbuch und LV Geschichte Israels). Von den Philistern haben wir keine schriftlichen Hinterlassenschaften. Deshalb sind die Bücher Richter und Samuel wichtige archäologische Quellen für dieses Volk. Die Philister sind die ersten, die in Kanaan Eisen im größeren Umfang nutzen. Daher rührt auch ihre militärische Stärke (siehe 1Sam 13,19–22).

Datierung der Ereignisse: Die Regierungszeit Davids kann aufgrund der Königebücher und zeitgleichen Informationen aus assyrischen Quellen auf etwa 1010–971 v.Chr. zurückgerechnet werden. Die Information über Sauls Regierungszeit in 1Sam 13,1 ist unvollständig. Eine neutestamentliche Passage (Apg 13,21) spricht von 40 Jahren. Das kann indirekt aus 2Sam 2,10 geschlossen werden: Isch-Boschet, Sohn Sauls, der wahrscheinlich nach Sauls Thronbesteigung geboren wurde, wird Sauls Nachfolger im Alter von 40 Jahren. Demnach wäre Sauls Regierungszeit 1050–1010 v.Chr. Andere Ausleger setzen dagegen 20 Jahre an (1030–1010 v.Chr.).

Samuel

Bibelkunde-Skript

Entstehung der Samuelbücher

Autorschaft: anonym. Das Buch selbst macht keinerlei Angaben über die Umstände seiner Entstehung.

Datierung: umstritten; auch abhängig von der Datierung der vorangehenden und nachfolgenden Bücher.

Der Reichtum an historischen Einzelheiten zeigt, dass der Autor historisch sehr gut informiert war. –> Die ersten schriftlichen Quellen für das Buch können daher nicht lange nach den Ereignissen verfasst worden sein.

Älteste Manuskripte: in den Höhlen von Qumran, eins davon datiert auf das 3. Jh. v.Chr. Der Text der Samuelbücher mit Abweichungen überliefert in masoretischem Text, LXX und Qumran.

Ansätze (nach Dillard/Longman, Introduction, S. 138ff):

Quellenscheidung: Wellhausen postuliert eine promonarchische und eine antimonarchische Quelle. Heute weniger vertreten.

Traditionsgeschichtliche Ansätze: Verschiedene Einzelüberlieferungen, die später zusammengestellt wurden

  1. Kindheitsgeschichten Samuels (1Sam 1–3)
  2. Die Erzählung von der Bundeslade (1Sam 4,1–7,2; evtl. fortgesetzt in 2Sam 6,1–15)
  3. Erzählungen über Samuel und Saul in Mizpa und Rama – lokale Überlieferungen, gegen Saul bzw. antimonarchisch; enthalten viele prophetische Aussagen (1Sam 7,3–12; 8,1–22; 10,17–27; 12,1–25; 15,1–35)
  4. Erzählungen über Samuel und Saul verbunden mit Gilgal. Promonarchisch bzw. pro Saul (1Sam 9,1–10,16; 13,1–14,46; ggf. Teile von 1Sam 11; 15; 28; 31).
  5. Eine Hoferzählung bzw. Thronfolgeerzählung (2Sam 9–20; 1Kön 1–2). Von vielen Auslegern so abgegrenzt, gilt als zeitnah und authentisch; in manchen historisch-kritischen Entwürfen setzt mit der „Thronfolgeerzählung“ die zuverlässige Geschichtsschreibung in Israel ein.
  6. Ein Anhang 2Sam 21–24, der zwischen die beiden Teile der Thronfolgeerzählung eingeschoben wurde.

Weitere Quellen sind nach diesem Modell: einzelne poetische Texte (Psalmen), Listen und Annalen, prophetische Botschaften.

–> Tatsächlich stammen die Erzählungen der Samuelbücher von unterschiedlichen Zeiten und Orten. Ein einzelner Mensch kann nicht Augenzeuge aller Ereignisse gewesen sein. Von daher muss ein gewisser Prozess der Sammlung und Zusammenstellung von (schriftlichen oder mündlichen) Traditionen erfolgt sein. Wie der Prozess erfolgt ist, und ob sich wirklich in den einzelnen Quellen unterschiedliche theologische Tendenzen wiederfinden, ist allerdings sehr fraglich.

Redaktionskritische Ansätze: Versuch, verschiedene redaktionelle Schichten voneinander abzugrenzen. Ausgangspunkt ist dabei oft Martin Noth’s These des „deuteronomistischen Geschichtswerkes“ (–> Einleitung in den Pentateuch).

Bewertung von Dillard/Longman, S. 136: Es ist praktisch unmöglich, die Kompositionsgeschichte des Buches zu rekonstruieren. Es ist gut möglich, dass das Buch zu einem frühen Zeitpunkt mehr oder weniger in seiner jetzigen Form entstand.

Literarische Aspekte

1.+2. Samuel bildeten ursprünglich ein einziges Buch. Die Teilung erfolgte wohl aus praktischen Gründen (Handhabung von Schriftrollen). Zugleich ist das Samuelbuch Teil einer größeren Gruppe von Genesis bis Könige.

Gattung: historisch-theologische Erzählung.

Der Aufbau des Buches wird diskutiert. In einigen Abschnitten sind konzentrische Strukturen erkennbar. Eine Untersuchung zur literarischen Struktur des Buches findet sich bei H. Klement, II Samuel 21–24: Context, Structure and Meaning of the Samuel Conclusion, Frankfurt etc.: Peter Lang, 2000. Daran anknüpfend Gliederung in Hauptabschnitte nach Steinberg:

1. Samuel, der letzte Richter Israels (1 Samuel 1–8)

Ein neues Zeitalter von Gottes Heilsgeschichte beginnt mit dem Gebet einer treuen Frau um einen Sohn (A). Die übergreifende Bedeutung dieses Ereignisses wird durch den anschließenden Psalm unterstrichen, der Gottes Gerechtigkeit und Gnade feiert und in einer prophetischen Ankündigung eines Königs gipfelt. Damit ist das Hauptthema des Buches eingeführt. Der Lobgesang der Hanna wird außerdem eine Vorlage für den Lobgesang der Maria in Luk 1,46–55.

Der prophetischen Ankündigung des Königtums entspricht der Wunsch des Volkes nach einem König in Kapitel 8 (A’). Durch die ganze hebräische Bibel hindurch wird menschliche Herrschaft kritisch und ambivalent gesehen. Eindeutig negativ wird der Wunsch nach einem König in 1 Samuel 8 aufgenommen, und zwar sowohl von Samuel als auch von Gott selbst. Die Bitte um einen König wird verstanden als Abkehr von Gott als König. Eine politische Struktur ersetzt die gemeinsame Vision, Volk Gottes zu sein. Abimelech, Saul, und viele der späteren Könige regieren nicht anhand der Maßstäbe Gottes.

Gleichzeitig gibt es auch einige Stellen, die sich positiv über das Königsamt äußern. Der Schluss des Richterbuches drückt die Hoffnung aus, dass das Königtum ein Weg aus der Krise ist; In 1 Samuel 12,13–15 findet Samuel versöhnliche Töne betreffend des Königtums; David wird trotz einiger Fehltritte ein König nach Gottes Herzen genannt. Andere Texte feiern das Königtum Davids vorausblickend oder rückschauend. Die Propheten kündigen einen kommenden idealen König an (Messiaserwartung).

Die Ambivalenz beim Thema Königtum wird von einigen Auslegern literarkritisch ausgewertet. Bei dieser Vorgehensweise wird aber übersehen, dass es hier nicht um einen inneren Widerspruch zwischen Texten geht, sondern um eine Spannung, die der Sache selbst innewohnt.

Die Spannung das Königtum betreffend wird auch zum Motor, der die folgende Geschichte vorantreibt. Samuel ernennt zwei Könige: Saul, ein Beispiel für das Scheitern des Königtums, und David, ein Beispiel für ein gelingendes Königtum. An der Auseinandersetzung zwischen David und Saul wird die Auseinandersetzung um Segen oder Fluch des Königtums gewissermaßen personalisiert.

In der Ringstruktur von 1 Samuel 1–8 treten am Anfang und am Ende jeweils zwei missratene Söhne auf (B und B’). Die Korruptheit der Söhne Elis führt zum Untergang der Familie Elis und zum Verlust der Bundeslade im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Philister. Die Korruptheit der Söhne Samuels wird zum Anlass, einen König einzusetzen.

Der nächstinnere Ring (C und C’) handelt von der Aktivität Samuels. Samuel wird von Gott gerufen.

Die Botschaft, die Samuel als erstes von Gott empfängt, hat mit Gericht zu tun. Dementsprechend wird auch die anschließende Schlacht gegen die Philister verloren. In der Struktur gegenüber steht eine zweite Schlacht der Philister. Während die Leute bei der ersten Schlacht meinten, mit der Anwesenheit der Bundeslade auch die Anwesenheit Gottes sicherzustellen, leitet Samuel vor der zweiten Schlacht eine innere Umkehr des Volkes ein. Diesmal ist Gott wirklich mit seinem Heer, und die Schlacht gegen die Philister wird gewonnen.

Die beiden zentralen Kapitel in der Struktur (D und D’) handeln allerdings nicht von einem menschlichen Wirken, sondern von der Macht Gottes selbst. Die Philister haben zwar die Bundeslade erobert. Doch geht von ihr eine solche unheimliche Macht aus, dass sie sich schon nach kurzer Zeit entschließen, sie nach Israel zurückzubringen.

Zentral in der literarischen Struktur aber auch in der theologischen Sicht der Dinge ist also das Wirken Gottes.

2. Saul, von der Krönung bis zur Verwerfung (1Samuel 9–15)

Die Begebenheiten, die zur Salbung Sauls führen, werden sehr ausführlich berichtet. Dass Samuel die Zukunft vorhersehen kann, bestätigt seine göttliche Autorisation. Die Anfänge des ersten Königs sind klein. Einige der Israeliten sind nicht überzeugt, dass Saul als König eine Hilfe für sie sein wird. Auffällig ist auch, dass Saul nach seiner Krönung als Bauer auf dem Acker arbeitet (1Sam 11,5).

Doch naht in Form der Ammoniter-Attacke die erste Möglichkeit Sauls, sich als König zu beweisen. Der Angriff durch die Ammoniter auf Jabesch in Gilead ist eine offene Provokation. Die Stadt darf sogar Boten nach ganz Israel aussenden – die Ammoniter rechnen nicht mit ernsthaftem Widerstand. Doch Saul überwindet sie und erweist sich damit zum ersten Mal als König. Damit werden die Skeptiker zum Schweigen gebracht.

Dies ist auch der Zeitpunkt, wo Samuel seine Führungsrolle offiziell an Saul übergibt. Samuel bleibt aber in der Rolle des Propheten, der das Königtum kritisch begleitet. Damit ist er ein Vorbild für das Prophetenamt. Gleichzeitig scheint er der Gründer einer Prophetenschule gewesen zu sein (1Sam 19,20).

An diesem Zeitpunkt beginnt auch schon der Abstieg Sauls. Zwei Ereignisse in 1Sam 13 und 15 demonstrieren speziell seinen Ungehorsam gegenüber Gott: In Gilgal bringt er das Brandopfer selbst dar, nachdem Samuel nicht nach der verabredeten Zeit erscheint (1Sam 13,9). Sein Handeln ist psychologisch gut nachvollziehbar, doch klammert er aus, dass es auf Gottes Gegenwart als das entscheidende Moment der Kriegsführung ankommt. Im zweiten Fall von Ungehorsam führt Saul den Auftrag, den Bann an den Amalekitern zu vollstrecken, nicht vollständig aus. Auch in diesem Fall ist sein Vorgehen psychologisch gut nachvollziehbar. Doch auch hier missachtet Saul die geistliche Ebene, bei der es darum ging, dass die Beute auf diese Art und Weise vollständig Gott geweiht sein sollte Sauls Ausrede, er habe die Tiere nur aufgehoben, um sie Gott opfern zu können, greift nicht, da, wie Samuel ihn hinweist „Gehorsam besser ist als Opfer“ (1Sam 15,22–23). Wie schon im Zusammenhang mit der Stiftshütte z.B. in Lev 10,1–2, zeigt sich auch hier, dass Respekt vor Gott sich darin ausdrückt, dass gerade in kultischen Dingen, wie dem Opfer oder dem Bann, absoluter Gehorsam gefordert ist. Der unheilige Umgang mit dem Heiligen ist Blasphemie.

Auch die Geschichte vom Kampf gegen die Philister in 1 Samuel 14 zeigt eine Problematik Sauls. Sein impulsiver und irrationaler Schwur kostet beinahe seinem Sohn und Thronnachfolger das Leben. Diese Charaktereigenschaften Sauls treten im Lauf der Ereignisse immer stärker zu Tage.

3. David in Sauls Diensten (1Samuel 16–19)

Dieser Block ist von besonderer Spannung und Tragik gekennzeichnet. Während Saul noch als König amtiert, wird David von Samuel heimlich zum König gesalbt. Zufällig kommt David an Sauls Hof, um ihm zu dienen. Einerseits erweist sich David als ein sehr fähiger Diener Sauls. Er kann ihn sowohl persönlich stärken als auch militärisch unterstützen. Andererseits ahnt oder weiß Saul aber, dass David derjenige ist, den Samuel statt seiner zum König gemacht hat. Jeder Versuch Sauls, David loszuwerden, endet damit, dass Davids Macht und Ruhm sich weiter vergrößert.

Irritierend: Saul holt David an seinen Hof, scheint ihn aber beim Kampf gegen Goliath noch nicht zu kennen. –> Umstellung der chronologischen Reihenfolge aus literarischen Gründen:

Den Rahmen bilden Begegnungen zwischen Samuel und David. Darin eingeschlossen ist die Zeit, die David an Sauls Hof zugebracht hat, eingeklammert durch zwei Szenen, in denen David vor Saul auf der Zither spielt, um seinen Geist zu beruhigen. Der Innenteil ist bestimmt von den Heldentaten Davids als Sauls Krieger und von Sauls Eifersucht auf ihn. Die erste hervorstechende Tat Davids ist sein Kampf gegen Goliath. Der Mittelteil zeigt: Jeder Schritt, den Saul unternimmt, um David unter Kontrolle zu bringen, macht Davids Ruhm nur umso größer: Als Saul David vom Hof entfernt, macht der sich als Krieger einen Ruhm; als Saul 100 Vorhäute der Philister als Brautgeschenk verlangt, vergrößert sich auch dadurch Davids Ruhm. Was Saul auch tut, gegen die Entscheidung Gottes kommt er nicht an. Am Ende schlägt sein Verhältnis zu David in offenen Hass um.

Bemerkenswert ist die Freundschaft zwischen David und Jonathan (1Sam 18,1–4). Das freundschaftliche Band zwischen den beiden ist stärker als die Liebe zu einer Frau es sein könnte (2Sam 1,26). Die Hintergründe, wegen derer eine solche tiefe Freundschaft zustandekommt, werden nicht im einzelnen genannt, aber es scheint so, dass Jonathan, der Thronprinz, intuitiv erkennt, dass eigentlich David der von Gott bestimmte Nachfolger Sauls ist. Deshalb übergibt er ihm seine Kleidung, die Zeichen seiner Prinzenschaft. In einem anderen Zusammenhang äußert er den Wunsch, der zweite Mann in einem Königreich Davids zu sein (1Sam 23,17). Jonathan tritt immer wieder vor seinem Vater für David ein und zieht dafür auch den Zorn des Vaters auf sich (1Sam 20,30–33).

4. Saul verfolgt David (1Samuel 20–26)

Nun wird David zum „Outlaw“. Um ihn herum sammelt sich eine Truppe von teilweise zweifelhaften Gestalten. Mit seinen Männern reist er von einem Ort zum nächsten, immer auf der Flucht vor Saul und seinen Truppen. Die Erzählungen zeigen, dass David, so schwierig seine Situation auch ist, der moralische Sieger ist. Es ist Saul, der den Ort Nob und die gesamte Priesterschaft abschlachtet, weil David dort Unterschlupf gefunden hatte. Es ist David, der seine Deckung velässt, um der Stadt Keila gegen die Philister zu helfen. Es ist Saul, der David töten möchte. Es ist David, der Saul zweimal in seiner Hand hat und ihn beide Male verschont. Beide Male zieht sich Saul beschämt zurück, doch seine grundsätzliche Entscheidung, David töten zu wollen, ändert er nicht. Der von Gott Verworfene hat nur scheinbar die Oberhand, während der Erwählte sich in allen Situationen seiner Erwählung entsprechend verhält.

Die Begegnung zwischen David und Nabal und die Heirat mit Abigail (Kap. 25) ist gleichzeitig ein Lehrstück über Weisheit und Torheit. In gewisser Weise ist Nabal ein Bild für Saul: In seiner Torheit will er selbst König sein (25,36) und verweigert sich dem Erwählten Gottes – dies kann nur zu seinem Untergang führen. Dass David mit der Hochzeit mit Abigail ein großes Gebiet der Kalebiter erwirbt und deren Loyalität, ist möglicherweise eine Vorbereitung dafür, dass er später in Hebron in ebendiesem Gebiet zum König eingesetzt werden wird.

5. Saul, David und die Philister (1Samuel 27–31)

Eine besondere Raffinesse dieses Abschnittes liegt darin, dass David scheinbar die Seiten wechselt und unter den Philistern wohnt. Als Konsequenz verlangt der Philisterkönig Achisch von Gat allerdings, dass David zusammen mit ihm in den Krieg gegen Israel zieht. Dank einer glücklichen Fügung trauen die anderen Philisterkönige David aber nicht, so dass er umkehren muss und dem Loyalitätskonflikt entgeht. Davids Umkehr hat auch die positive Folge, dass er die Armee, die in Abwesenheit das Gebiet der Philister geplündert und auch seine eigene Stadt und seine Frauen geraubt hat, auf ihrem Heimweg einholen kann und die Beute zurückerobern kann.

Die Schlacht gegen die Philister bildet das tragische Ende von Sauls Königtum. Lange Zeit hatte Saul versucht, trotz seiner Verwerfung weiterzuregieren. Jetzt aber ist der Punkt gekommen, wo er aufgeben muss. Als die Situation aussichtslos geworden ist, bringt er sich um. Auch drei seiner Söhne werden in der Schlacht getötet.

6. Die zwei Könige: David und Isch-Boschet (2Samuel 1–3)

Ein Bote erreicht David in Ziklag und berichtet ihm vom Tode Sauls. Er stellt das Ereignis allerdings so dar, als habe er selbst Saul getötet. Doch das führt nicht wie erhofft zu einer Ehrung, sondern zu seinem Tod. Wie auch schon vorher, so erweist David auch jetzt noch Saul seinen Respekt – immerhin ist er der Gesalbte Gottes gewesen. Besonders erschüttert ist David über den Tod Jonatans.

David zieht wieder in das Gebiet von Juda. In Hebron wird er zum König über Juda gesalbt. Abner, der Heerführer Sauls, macht allerdings einen Isch-Boschet, einen Sohn Sauls, zum König über die anderen Stämme Israels. Wahrscheinlich geschah dies nicht sofort, sondern erst nach etwa fünf Jahren. (Isch-Boschet regierte insgesamt nur zwei Jahre lang [2,10], während David sieben Jahre König in Hebron war [5,5]). Insgesamt scheint Abner mächtiger gewesen zu sein als Isch-Boschet, denn als Abner zu David überläuft, ist die Macht von Isch-Boschet gebrochen.

7. David König über ganz Israel (2Samuel 4–9)

A und A’ illustrieren das Verhältnis Davids zu Sauls Dynastie. David zollt der Familie Sauls Respekt.

B und B’: Militärische Erfolge demonstrieren, dass David als König für Israel geeignet ist und unter dem Segen Gottes steht.

C und C’: Mit dem Transport der Bundeslade nach Jerusalem erweist David dem Kult und damit auch Gott Respekt. Deshalb bekommt er eine ewige Dynastie zugesagt.

–> 2Sam 4–9 Höhepunkt der Macht Davids.

Samuel
Saul
David

8. Davids persönliche Krise (2Samuel 10–12)

Der Abschnitt ist sehr ungewöhnlich im Vergleich zu königlichen Annalen im Alten Vorderen Orient. In diesen geht es durchgehend darum, den jeweiligen König zu verherrlichen und ihn möglichst positiv darzustellen. Über Niederlagen ist, wenn überhaupt, nur zwischen den Zeilen zu lesen. Die biblische Weltsicht erlaubt demgegenüber eine sehr ehrliche Berichterstattung, was die Schattenseiten des Menschlichen und insbesondere die Schwächen menschlicher Herrschaft angeht. In der biblischen Darstellung ist nur einer der wahre Held, nämlich Gott. Deshalb kann auch der König, der „nach Gottes Herzen ist“, der zum Vorbild für alle späteren Könige wird, mit seinen negativen Seiten dargestellt werden.

Den Rahmen der Erzählung bildet der Krieg gegen die Ammoniter. Diese sind aber nicht das eigentliche Thema. Psychologisch geschickt wird erzählt, dass David nicht am Feldzug teilnimmt, sondern in seinem Palast in Müßiggang verweilt. Auf dem flachen Dach seines Palastes wandelnd, lässt er den Blick über seine Stadt schweifen und beobachtet die schöne Batseba beim Baden. Es folgt eins aufs andere: Ehebruch, die Schwangerschaft, Vertuschungsversuche, die mit einem Auftragsmord an Batsebas Ehemann enden.

Als David durch den Propheten Natan mit seinem Vergehen konfrontiert wird, zeigt er, anders als Saul, echte Reue. Im Text wird es nur angedeutet, aber Psalm 51 entfaltet dies. Das ehebrecherisch gezeugte Kind darf nicht überleben, aber David bekommt Vergebung zugesprochen. Der zweite Sohn Davids mit der inzwischen gehelichten Batseba, Salomo, ist von Gott besonders geliebt (12,25–26); er wird der Thronfolger werden.

Dass David zuhausegeblieben ist, war ein Fehler. Sein Feldherr Joab ermöglicht ihn, diesen Fehler wieder gutzumachen, indem er ihn zur letzten Schlacht gegen die Ammoniter ruft, damit er persönlich als Feldherr den Sieg erringen kann.

Obwohl David vergeben wurde, hat die gesamte Episode die literarische Funktion, von der erfolgreichen Zeit Davids in Kap 4–9 überzuleiten in eine Epoche erneuter Streitigkeiten um den Thron in Kap. 13–20: Die Störung durch Sünde führt dazu, dass der Erfolg, psychologisch gesehen, aber auch von Gott her, kein voller Erfolg mehr ist. Auch inhaltlich knüpft diese Epoche an: Amnon, Davids ältester Sohn, leistet sich einen sexuellen Fehltritt wie David, der schließlich indirekt zum Aufstand Absaloms führt.

9. Absaloms Revolte (2Samuel 13–20)

Bei einem Erbkönigtum spielt natürlich die Frage eine Rolle, welcher der Söhne die Nachfolge antreten wird. Der Text listet deshalb an mehreren Stellen die Söhne Davids auf (2Sam 3,2–5 and 5,14–16). Auch eine Rivalität unter den Söhnen ist vorprogrammiert. Dies gilt besonders nach der Geburt Salomos, der schon früh als Nachfolger ausgewählt ist (2Sam 12,25–26, 1Kön 1,13.30).

Die in diesem Abschnitt berichtete Aufstand Absaloms ist wohl hauptsächlich von diesen Elementen her motiviert. Ausgelöst wird die Sache allerdings durch Amnon. Amnon scheint Defizite in seiner Persönlichkeit zu haben. Das zeigt sich nicht nur darin, wie er versucht, sich Tamar anzunähern, sondern auch in der Art und Weise, wie er sie anschließend verstößt. Es scheint ihm nicht möglich zu sein, eine echte Beziehung zu ihr aufzubauen.

Nachdem Absalom Amnon umgebracht hat, wird auch dessen Beziehung zum Vater gestört. Auf eine Initiative Joabs hin darf Absalom zwar nach Jerusalem zurückkehren. Doch sein Vater ruft ihn volle zwei Jahre nicht zu sich, d.h. David nimmt ihn nicht für voll bzw. akzeptiert ihn nicht. Zwar erzwingt Absalom schließlich eine Begegnung, doch die Versöhnung scheint nur oberflächlich zu sein. Davids abweisendes Verhalten gegenüber Absalom hat seinen Hass provoziert und führt damit beinahe zum Untergang seines Königtums.

10. Fazit: JHWH für David, nicht für Saul (2Samuel 21–24)

Die Kapitel 21–24 sind als Abschluss eines literarischen Werkes eher ungewöhnlich. Besonders, dass nach dem schließenden Davidspsalm und Davids letzten Worten noch ein weiterer Fall eines Fehltritts Davids präsentiert wird, erscheint merkwürdig. Deutlich wird die Absicht aber, wenn die konzentrische Struktur berücksichtigt wird, in der das Material angeordnet ist. Hierbei zeigt sich, dass eine abschließende Gegenüberstellung von Saul und David beabsichtigt ist (H. Klement, II Samuel 21–24):

Die erste Erzählung greift auf ein vorher nicht erwähntes Ereignis aus der Regierungszeit Sauls zurück. Saul hat die Stadt Gibeon erobert damit einen Friedensvertrag verletzt (siehe Jos 9). Er meinte, dass seine Macht als König über dem alten Stämmerecht stand und irrte sich damit. Als Entschädigung für das Vergehen verlangen die Einwohner der Stadt sieben männliche Nachkommen Sauls, um sie zu hängen. David gewährt ihnen die Bitte. Anschließend sorgt er aber auch dafür, dass die Männer ehrenvoll begraben werden. Damit drückt David seinen Respekt sowohl vor dem alten Stämmerecht als auch vor der Familie Sauls aus.

Dem gegenüber steht eine Schuld Davids. Die Volkszählung hat wahrscheinlich einen selbstherrlichen Anlass. Davids Schuld ist nicht geringer als die von Saul. Gemessen an der Strafe scheint sie eher noch größer zu sein. Im Unterschied zu Saul ist aber bei David der Weg über die Buße, Vergebung und Neuanfang möglich. Die Gegenüberstellung der beiden Geschichten steht für die Gegenüberstellung der beiden Königtümer insgesamt: Vor Gott sind beide nicht perfekt, sondern machen Fehler. Doch nimmt David Gott ernst und bleibt ihm treu, so dass ihm Gott vergibt.

Eingeschlossen sind Texte, die vor allem die Bedeutung Davids unterstreichen. Doch in den Teilen B und C schwingt auch das Gegenüber zu Saul mit: Obwohl Saul der war, der ganz Israel um einen Kopf überragte, trat er nicht Goliath, dem philistäischen Riesen entgegen, sondern David. Davids Helden haben sogar vier solcher Riesen überwältigt. Explizit genannt wird Saul noch einmal in Davids Dankpsalm, wo er einleitend mit unter Davids Feinden genannt wird.

Damit wird abschließend unterstrichen, dass nicht Saul, aber David ein König nach dem Willen Gottes war.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach