Das Buch Hiob

Thema: Im Leiden Gott erleben

Bisher hatte ich dich nur vom Hörensagen gekannt; jetzt aber habe ich dich mit meinen eigenen Augen gesehen.

Platz im Kanon

  • In den deutschen Übersetzungen, beeinflusst durch die Vulgata, in die Gruppe der „poetischen Bücher“ gestellt; entsprechend der traditionellen Chronologie an den Anfang (Hiob: Patriarchenzeit; Psalmen: David; Sprüche, Prediger, Hoheslied: Salomo)
  • In der LXX an ganz wechselnden Positionen.
  • In der jüdischen Tradition in den Ketuvim in einer Gruppe mit den anderen Weisheitsbüchern.

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Zur Entstehung des Hiobbuches

Der kulturelle Hintergrund, der im Prolog und im Epilog sichtbar wird, verweist auf die Patriarchenzeit. Es handelt sich dabei um die „erzählte Zeit“, nicht notwendigerweise um die „Erzählzeit“.

  • Hiob bringt persönlich Opfer dar, ohne Priester und ohne Heiligtum.
  • Sein Wohlstand wird wie bei den Patriarchen in Schafen, Kamelen, Ochsen usw. gemessen.
  • Sein Land wird durch Beduineneinfälle verwüstet.
  • Für das Alter Hiobs von 140 Jahren finden sich nur im Pentateuch Parallelen.
  • Der Charakter der Erzählung ist mit der Genesis am nächsten verwandt.

Die Form der Poesie im Mittelteil weist auf die Zeit ab dem 10. Jhd. v. Chr.: Sie steht der „klassischen“ Poesie des Psalters viel näher als z.B. dem als sehr alt angesehen Debora-Lied (Richter 5).

Oft werden der in Prosa verfasste Rahmen und der poetische Mittelteil literarkritisch voneinander getrennt. Weitere Elemente, die als sekundär verstanden werden, sind das Gedicht über die Weisheit (Hi 28) und die Reden des Elihu. Insgesamt hat man die Komplexität der im Hiobbuch verhandelten Thematik dadurch aufzulösen versucht, dass man seine verschiedenen Elemente verschiedenen Autoren bzw. Redaktoren zugewiesen hat (historisch-genetischer Zugang).

  • Was die Frage des Verhältisses zwischen Prosa und Poesie betrifft, so ist der Wechsel allerdings besser mit der Funktion der Textpassagen zu erklären: der erzählerische Rahmen bereitet die in gehobener Sprache gestaltete Diskussion vor und nach. Weder ergibt der Rahmen ohne den Mittelteil Sinn, noch der Mittelteil ohne den Rahmen.
  • Schwieriger sind die Reden des Elihu einzuordnen. Problematisch ist, dass er nicht mit den anderen Freunden zusammen eingeführt wird und sich auch im Schlussteil keine Bewertung seiner Rede findet. Allerdings hätte ein Redaktor, der die vier Kapitel der Reden Elihus eingefügt hätte, durchaus auch Elihus Namen in den Prolog und den Epilog aufnehmen können, wenn er dies gewollt hätte. Die diachrone Erklärung bietet also für das plötzliche Auftauchen Elihus letzlich keine Lösung, sondern verschiebt das Problem lediglich vom Autor auf den Redaktor. Möglicherweise wird Elihu deshalb nicht eingeführt, weil er als junger Mann einen niedrigeren Status innehat. Es ist sowieso anzunehmen, dass Elifas, Bildad und Zofar nicht allein, sondern mit Gefolge angereist sind.

Moderne literaturwissenschaftlich geprägte Ansätze nehmen das Buch wieder vermehrt als literarische Einheit wahr. Vor allem die Ursprünglichkeit der Elihu-Rede bleibt aber umstritten.

Teilweise wird der Abschluss des Buches sehr spät datiert (3. Jh. v.Chr.). Das Argument ist hier meistens, dass man eine längere zeitliche Entwicklung von dem als naiv angesehenen Sprüchebuch bis zum eher skeptisch geprägten Hiobbuch annimmt. Dem kann aber entgegengehalten werden, dass das Hiob-Thema auch im Alten Vorderen Orient bekannt und verbreitet war und dort nachweislich älter ist als das biblische Sprüchebuch. Positiv ausgerichtete und eher skeptisch geprägte Werke haben lange Zeit nebeneinander existiert.

Das Buch Hiob als Weisheitsbuch

Für das Buch Hiob als Weisheitsbuch gilt:

  • Im Buch Hiob wird das Leid in großen Teilen auf dem Hintergrund des Zusammenhangs von Tun und Ergehen diskutiert: Muss Hiobs Leid nicht bedeuten, dass er eine große Sünde getan hat?
  • Im Buch Hiob wird die Antwort auf die Frage nach dem Leid aus der Beobachtung der Natur gewonnen (Die Rede Gottes in Hiob 38–41).
  • Hiob wird in eine tiefere Ehrfurcht vor Gott geführt.

(Siehe dazu das Skript „Einführung in die Gattung der Weisheitsliteratur“.)

Hiob

Bibelkunde-Skript

3.3.3 Hiob

Aufbau und Botschaft (wissenschaftlich)

Die Diskussion Hiobs und seiner Freunde

1. Hiob ist sehr gottesfürchtig und von Gott gesegnet – ein Musterbeispiel für Gottes gerechte Weltordnung, in der wahre Frömmigkeit sich lohnt.

2. Hiob wird in tiefes Leid gestürzt. Die gerechte Weltordnung Gottes scheint gebrochen.

–> Frage nach der Gerechtigkeit Gottes

–> heute auch: Frage nach der Existenz Gottes

3. Die Freunde Hiobs gehen gemäß der gerechten Weltordnung Gottes davon aus, dass das Leiden Hiobs auf irgendeine große Sünde in Hiobs Leben zurückgeführt werden muss. Hiob dagegen ist sich keiner solcher Sünde bewusst und kann deswegen nicht anders, als Gottes Gerechtigkeit zu hinterfragen.

4. Auch Elihu, als zusätzlicher Redner, kommt letztlich nicht über die Ansichten der drei anderen hinaus.

Elifas:

  • Wenn es einem Menschen schlecht geht, dann muss er auch gesündigt haben.
  • Da Hiob aber doch ein gerechter Mensch ist, wird er nicht allzu lange leiden müssen.
  • Vor Gott kann kein Mensch wirklich schuldlos sein, selbst so ein gerechter Mensch wie Hiob.

Bildad:

  • Die Weisheit der Vorfahren sollte man nicht in den Wind schlagen. Sie besagt eindeutig, dass Schuld Strafe nach sich zieht.
  • Hiobs Kinder wurden erschlagen: ein typisches Ende für gottlose Menschen. Hiob aber ist noch einmal davongekommen und hat noch eine Chance zur Umkehr bekommen.

Zofar:

  • Für das Leiden Hiobs gibt es auf jeden Fall eine Ursache in der Schuld Hiobs. Wenn Gott spräche, würde das sofort offensichtlich werden.
  • Gottes Gnade zeigt sich darin, dass die Strafe Hiobs sowieso schon viel geringer ausgefallen ist als sie eigentlich hätte müssen. Die Gnade wurde also schon „aufgerechnet“.

Elihu:

  • Mit dem Zusammenhang von Tun und Ergehen will Gott Menschen erziehen.
  • Leiden ist eine Offenbarung Gottes, der dem Menschen damit etwas sagen will.
Hiob 1-2: Hiobs Glück und Erprobung
Hiob 3–37: Hiobs Diskussion mit Elifas, Bildad und Zofar; die Reden Elihus
Hiob 38-41: Die Reden Gottes aus dem Sturmwind
Hiob 42: Hiobs neues Glück

Gottes Antwort

Gott ist da

Gott redet zu dem leidenden Hiob. Er ist gegenwärtig. Das Leiden Hiobs ist ihm nicht gleichgültig.

Gott regiert

Als Gott Hiob antwortet (Hiob Kapitel 38 bis 41), antwortet er ihm nicht auf seine Fragen. Scheinbar geht er gar nicht auf das Thema des Leides ein. Gott scheint überhaupt keine Antworten zu geben, sondern er stellt selber Fragen. Zum Beispiel:

  • „Wo warst du, Hiob, als ich die Erde gründete?“
  • „Hast du, Hiob, ein einziges Mal einen Morgen kommen lassen und ein Morgenrot erzeugt?“
  • „Hast du, Hiob, es schon ein einziges Mal regnen lassen?“

Die Fragen lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • rhetorische Fragen, die ausdrücken, dass Hiob bei der Schöpfung der Welt nicht anwesend war, dass nicht er, sondern Gott die Welt erschaffen hat, und dass Hiob daher Vieles nicht wissen kann (38,4–11);
  • rhetorische Fragen, die ausdrücken, dass Hiob an der Welterhaltung, dem täglichen »Management« der Welt, ebenfalls keinen Anteil hat (v.a. 38,12–38);
  • rhetorische Fragen und Beschreibungen zu wilden Tieren (38,39 – 39,30; 40,15 – 41,26): Tiere, die …

… der Mensch nicht versorgt: Löwe, Rabe, Steinbock;

… der Mensch nicht nutzbar machen kann: Wildesel, Wildstier;

… der Mensch nicht versteht: Straußenhenne;

… der Mensch nicht befähigt: Pferd, Habicht, Geier;

… der Mensch nicht kontrollieren kann: Behemot und Leviatan.

Vier Gegenüberstellungen ergeben sich daraus:

  • Nicht der Mensch hat die Welt erschaffen, sondern Gott.
  • Nicht der Mensch lenkt den Lauf der Welt, sondern Gott.
  • Nicht der Mensch hat vollkommene Einsicht in die Welt, sondern Gott.
  • Das Schöpfungswerk Gottes ist prachtvoll und gewaltig, gleichzeitig aber für den Menschen unergründlich und unkontrollierbar.

Was hat dies alles mit dem Leiden Hiobs zu tun? Die Antwort ist so einfach wie verblüffend. Etwas salopp gesagt:

„Mit dem Leiden des Gerechten ist es wie mit dem Krokodil:
Nur Gott weiß, warum es beides gibt.“ (David Clines)

So wie der Sinn vieler Dinge in der Schöpfung der menschlichen Einsicht verschlossen bleibt, so bleibt auch der Sinn des Leidens dem Menschen verschlossen. Hiob hat kein Recht darauf, dass sein Leiden erklärt wird, genauso wenig wie er das Recht darauf hat, dass ihm der Sinn des Krokodils erklärt wird. Und schon gar nicht hat Hiob das Recht, Gottes Regiment zu hinterfragen (Clines).

Es geht hierbei nicht einfach um das Gegenüber kleiner Mensch – großer Gott, sondern um die Klärung des Verhältnisses von Geschöpf und Schöpfer.

Der besondere Akzent der zweiten Gottesrede: Während die erste Gottesrede sich allgemein mit dem Schöpferhandeln Gottes befasst, nimmt sich die zweite Gottesrede zwei spezielle Lebewesen vor, nämlich „Behemot“ und „Leviatan“, wahrscheinlich Nilpferd und Krokodil. Es handelt sich um diejenigen Tiere, denen damals (und bis heute) die meisten Menschen zum Opfer fielen. In der Mythologie werden sie als Chaosmonster dargestellt, die von den guten Göttern in Zaum gehalten werden müssen. Das Hiobbuch stellt dagegen klar: Es handelt sich bei diesen von Menschen als Chaoswesen eingestuften Tieren in Wirklichkeit um Geschöpfe Gottes. Gott hält die „Chaosmächte“ nicht im Zaum, sondern er hat sie geschaffen!

Als Hiob die Rede Gottes gehört hat, antwortet er mit den folgenden Worten:

Bisher habe ich dich nur vom Hörensagen gekannt. Aber jetzt habe ich dich mit meinen eigenen Augen gesehen. Darum verwerfe ich mein Geschwätz und tue Buße in Sack und Asche. (Hiob 42, 5–6)

Die Antwort des Menschen?

  • Respekt
  • Vertrauen
Gott hat Gründe

Das Buch Hiob macht auch deutlich, dass Gott für das, was er tut, trotz allem seine Gründe hat.

Als Leser des Buches Hiob dürfen wir einen Blick in den Himmel tun, wo wir Gott mit seinen Engeln und auch „den Ankläger“ (ha-satan) sehen (Kap. 1,6–12; 2,1–6).

Warum wird dem Leser dieser Blick erlaubt?

  • NICHT, um ein für alle Mal den Grund für ungerechtes Leiden zu erfahren – denn sonst bräuchte es Hiob 3–41 nicht, und die geheimnisvolle Rede Gottes in Kap. 38–41 wäre sinnlos.
  • Sondern zum einen, um die anschließende Diskussion der Freunde Hiobs gewissermaßen aus göttlicher Perspektive mitzuerleben und zu sehen, wie falsch Menschen liegen können, wenn sie versuchen, Gottes Handeln zu erklären.
  • Und zum anderen, um zu wissen: „Wenn es uns gestattet wäre, in den Himmel zu schauen, dann würden auch wir sehen, dass es einen Grund für unser Leiden gibt. Wir dürfen also vertrauen, dass auch unser Leid bei Gott einen Sinn macht – auch wenn wir ihn nicht kennen.“
Gott stellt Gerechtigkeit her

Hiob wird am Ende für sein Leiden entschädigt. Der doppelte Besitz am Ende kann im Sinne einer Entschädigung verstanden werden (vgl. Ex 22,3). Gott stellt am Ende genau die Gerechtigkeit wieder her, von der Hiob lernen musste, dass er sie nicht von ihm einfordern kann.

–> „Gott handelt oft anders, als wir denken, aber er ist dennoch gerecht in seinem Tun.“

–> „The problem with the dogma of retribution is not that it is wrong but that it is a dogma.“ (Clines)

Fazit

Die Antwort des Buches Hiob auf die Frage der Gerechtigkeit von Gottes Weltordnung angesichts unverdientem Leides lautet demnach wie folgt (Steinberg, Ketuvim):

  • Wenn ein Mensch leidet, hat das einen Grund bei Gott (Prolog).
  • Das Leid, das den Einzelnen trifft, ist nicht unmittelbar mit dessen sündhaftem Verhalten zu begründen (gegen Elifas, Bildad und Zofar). Auch die Ansicht, dass Gott den Menschen durch Leid generell auffordern will, Sünde zu bekennen, ist nicht korrekt (gegen Elihu).
  • Der Leidende und seine Tröster sollen nicht über Gott und sein Handeln theoretisieren, sondern sich direkt an Gott wenden (Hiob; Epilog in 42,7).
  • Ursache, Sinn und Zweck des Leides sind für den Menschen oft nicht zu verstehen, ebenso wie der Sinn vieler Dinge in Gottes Schöpfung für den Menschen nicht zugänglich ist. Der Mensch kann die Größe Gottes und die Weisheit seiner Herrschaft nicht erfassen und ist daher nicht in der Position, Anklage gegen Gott zu erheben. Der Mensch soll sich von einem falschen Mittelpunktsdenken lösen. Der Mensch kann darauf vertrauen, dass Gott das Regiment über die Welt weise führt (Gottesrede; teilw.: gegen Hiob).
  • Der Mensch kann darauf vertrauen, dass Gott letztlich die Gerechtigkeit in vollem Umfang herstellt (Epilog).
bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach