Das Buch der Psalmen
Thema: „Die Zuflucht des Gerechten in Gottes Königtum“
Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!
Buch I, Ps 1,1–2
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
Buch II, Ps 51,12–14
Ich will dem HERRN singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin.
Buch IV, Ps 104,33
Die fünf "Bücher" des Psalters
Kap. | Inhalt |
---|---|
Psalm 1–41 | Buch I |
Psalm 42–72 | Buch II |
Psalm 73–89 | Buch III |
Psalm 90–106 | Buch IV |
Psalm 107–150 | Buch V |
Wichtige Psalmen und Psalmgruppen
Ps 1; 19; 119: Die Torapsalmen
Die rahmenden Königspsalmen von Buch I-III:
- Ps 2: Einsetzung des Königtums
- Ps 72: Übergabe des Königtums an den Königssohn
- Ps 89: Untergang des Königtums
Ps 22 Der wichtigste Leidenspsalm („Mein Gott, warum hast du mich verlassen“)
Ps 23 Der Herr ist mein Hirte
Ps 51 Der wichtigste Bußpsalm („Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz“)
Ps 90 Ewigkeit Gottes und Vergänglichkeit des Menschen (Eröffnung Buch IV)
Ps 93–100 Die JHWH-Königspsalmen
Ps 104–106 Großer Geschichtsrückblick von der Schöpfung bis zum babylonischen Exil (Abschluss Buch IV)
Ps 120–134 Die Wallfahrtspsalmen
Ps 139 „Herr, du erforschst mich und du kennst mich“
Titel und Platz im Kanon
Titel:
Die hebräische Bezeichnung ist séfär tehillîm „Buch der Lobpreisungen“. Unsere Bezeichnung „Psalmen“ leitet sich aus dem Titel „psalmoi“ in der Septuaginta ab. (von griech. psallo „zupfen“, d. h. Spielen eines Saiteninstruments)
Platz im Kanon:
- In den deutschen Übersetzungen in die Gruppe der „poetischen Bücher“ gestellt; entsprechend der traditionellen Chronologie hinter das Hiobbuch (Hiob: Patriarchenzeit; Psalmen: David; Sprüche, Prediger, Hoheslied: Salomo)
- In der jüdischen Tradition erstes Hauptwerk der Ketuvim (ggf. nach dem einleitenden Buch Ruth).
mismôr
Psalm
hallelû-jāh
Lobt Jah(we)!
Autorschaft und Datierung
Autorschaft:
David: 73 Psalmen, die meisten davon in Buch I und Buch II.
Salomo: Psalm 72 und 127
Asaph: 12 Psalmen (50 und 73–83). Levit zur Zeit Davids aus der Sippe Gerson (siehe 1Chr 6,24–28; 15,16–19; 16,4f).
Heman: Psalm 88. Levit zur Zeit Davids aus der Sippe Kehat (1Chr 8,18–23; 15,16–19).
Ethan Psalm 89. Levit zur Zeit Davids aus der Sippe Merari (1Chr 6,29–32; 15,16–19).
Die Angabe mit hebr. mi mismor leDavid „ein Psalm dem David“) ist die übliche Art, einen Verfasser zu bezeichnen, sie kann in einem weiteren Sinne aber auch übersetzt werden mit „ein Psalm, David zugeeignet / zugeordnet“.
Datierung:
Folgt man den Verfasserangaben, so stammt der älteste datierte Psalm aus der Zeit des Mose (15. Jh.). Ein Großteil der Psalmen lässt sich am besten mit der Zeit des Königtums Davids in Verbindung bringen. Die spätesten Psalmen sind von ihrem Inhalt her der nachexilischen (persischen) Zeit zuzuordnen.
Entstehung des Psalters
Der Psalter ist über einen langen Zeitraum hinweg entstanden. Viele der Psalmen wurden als einzelne Lieder und Gebete verfasst. Sie entstammen dem kultischen Bereich und dem Bereich des persönlichen Glaubens. Die Sammlung der Psalmen in den Psalter ist sicher in mehreren Schüben verlaufen. Zur Frage älterer Teilsammlungen von Psalmen gibt es verschiedene Hypothesen, aber keine gesicherten Ergebnisse.[1]
Der Psalter ist allerdings noch mehr als das „Liederbuch Israels“. In seiner endgültigen Gestalt sind die einzelnen Psalmen zu einem größeren Ganzen zusammengefügt, aus dem „Liederbuch“ wird ein theologisches „Meditationsbuch“.
[1] Zenger/Hossfeld argumentieren für eine Endredaktion des Psalters zwischen 200 und 150 v. Chr. unter Einfluss „der weisheitlich inspirierten Tempelsängerschaft“ (Zenger u.a., Einleitung 92016, 450f). Craige (Psalms 1–50 WBC, 31) datiert den gesamten Psalter „probable … the fourth century B.C.“. Dillard/Longman (Introduction, 239f) verweisen auf den Kompositionscharakter des Buches, Datierungsprobleme der Einzelpsalmen sowie die lange Entstehungszeit der Psalmen von Mose bis nach dem Exil und enthalten sich deswegen genauerer Datierungen. Childs (Introduction, 508-523) enthält sich der Besprechung von Datierungen des Psalters. (Fußnote Jens Winarske)
Der "elohistische Psalter" Ps 42–83
Die Psalmen 42–83 fallen dadurch auf, dass in ihnen Gott meist als Elohim (hebr. „Gott“) bezeichnet wird, während sonst sehr viel häufiger der Name JHWH (der HERR) benutzt wird.
So sind beispielsweise Ps 14 und 53 fast identisch. Ps 14 nennt viermal JHWH, Ps 53 hat an allen Stellen stattdessen Elohim.
Erklärungsmöglichkeiten:
- diachron („durch die Zeiten hindurch“: Erklärung mit Bezug auf den vermuteten Entstehungsprozess): Der elohistische Psalter existierte als Teilsammlung, die später in das kanonische Psalmbuch integriert wurde. Die Verwendung von Gottesnamen deutet auf unterschiedliche lokale Traditionen hin.
- synchron („gleichzeitig“: Deutung der Absicht des vorliegenden Textes ohne Bezug auf Entstehungsprozesse): Durch die Verwendung von Elohim statt JHWH wird eine größere Gottesferne zum Ausdruck gebracht. Bei einer Interpretation des Psalters als Buch (siehe unten) behandeln Ps 42–83 die Not der Gottesferne in der Zeit des Exils.
Die Psalmtitel
Welche Arten von Informationen enthalten die Psalmtitel?
- zur Autorschaft bzw. Zuordnung zu einer Person bzw. Gruppe
- zur Situation, auf die sich der Psalm bezieht
B. Ps 63 „von David, als er in der Wüste Juda war“ - zur musikalischen Gestaltung
B. Ps 4 „zum Saitenspiel“ - zum liturgischen Einsatz
B. Ps 38 „zum Gedenkopfer“, Ps 100 „zum Dankopfer“ - zur Psalmgattung
B. Ps 32 „Weisheitslied“, Ps 120 „Wallfahrtslied“, Ps 145 „Loblied“
Von wann stammen die Psalmtitel?
a) Positionen
- konservative Position: Psalmtitel sind ursprünglich und geben historische Information wieder
- klassische historisch-kritische Forschung: Psalmtitel wurden später hinzugefügt, als nachträgliche (Neu-)Interpretationen, und sind daher zu vernachlässigen.
- neuere kanonische Ansätze: Psalmtitel wurden später hinzugefügt, im Rahmen der kanonischen Endredaktion, und sind deshalb für die Interpretation von entscheidender Bedeutung
b) historische Hinweise:
- Die genauen Entstehungsumstände für die Psalmtitel bleiben im Dunkeln.
- Es gibt keine hebräische Bibelhandschrift ohne die Psalmtitel. Die LXX hat die Psalmtitel ebenfalls, allerdings mit kleineren Variationen (mehr davidische Psalmen).
- Auch einige Psalmen außerhalb des Psalters tragen Titel (2Sam 22,1; Jes 38,9; Hab 3,1.19b). In Ugarit (Ras Schamra) wurde ein Kultlied gefunden, bei dem ebenfalls Informationen über Musikstil, Gattung und Namen des Schreibers bzw. Abschreibers angegeben sind. Solche Informationen konnten also durchaus auch mit dem einzelnen Psalm überliefert worden sein.
→ Wenn wir vom vorliegenden Bibeltext ausgehen, dann handelt es sich bei den Titelangaben um Anweisungen für den Leser, den Psalm mit dem angegebenen historischen Kontext zu verbinden. Der Psalminhalt wird dadurch plastisch, weil die genannte „Not“, „Feinde“, „Schuld“ etc. mit konkreten Inhalten gefüllt wird. Dies erleichtert auch die Übertragung auf das eigene Leben.
Die Kapitel- und Verszählung im Psalter
Masoretischer Text, heutige Bibelübersetzung | Septuaginta, Vulgata, Werke katholischer Autoren |
---|---|
Ps 1–8 | Ps 1–8 |
Ps 9–10 | Ps 9 |
Ps 11–113 | Ps 10–112 |
Ps 114–115 | Ps 113 |
Ps 116,1–9 | Ps 114 |
Ps 116,10–19 | Ps 115 |
Ps 117–146 | Ps 116–145 |
Ps 147,1–11 | Ps 146 |
Ps 147,12–20 | Ps 147 |
Ps 148–150 | Ps 148–150 |
Im masoretischen Text und in den deutschen Übersetzungen werden die Überschriften als Verse mitgezählt und bilden oft einen ganzen Vers. In der Septuaginta und den englischen Übersetzungen werden die Überschriften nicht mitgezählt. Dadurch ergibt sich bei vielen Psalmen eine Verschiebung um einen Vers.
Die Erforschung des Psalters
Bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jh. untersuchte die wissenschaftliche Exegese die Psalmen vor allem nach zeitgeschichtlichen Gesichtspunkten, d. h. man versuchte, den historischen Kontext der einzelnen Psalmen zu rekonstruieren. Allerdings ist die Sprache der Psalmen sehr formelhaft; Ereignisse werden sehr allgemein beschrieben; Feinde werden öfter erwähnt, aber nie mit Namen genannt usw.
Hermann Gunkel:
Der Pionier der modernen Psalmenforschung ist der deutsche Alttestamentler Hermann Gunkel (1862–1932). Er beschreitet einen neuen Weg, indem er die sog. Formgeschichte in die Psalmenforschung einführt. Seine Methode basiert auf drei Voraussetzungen:
- Die religiöse Literatur der Bibel bedient sich gern vorgegebener Sprachmuster und
-formeln. Es ist daher berechtigt, die Psalmen nach formalen Kategorien zu ordnen. - Eine ähnliche Form ist ein Hinweis auf ähnlichen Gebrauch, d. h. von der Form kann man auf den „Sitz im Leben“schließen.
- Gottesdienst und Liturgie in Israel sind vergleichbar mit denen seiner altvorderorientalischen Nachbarn. Die vergleichende Literaturwissenschaft und die vergleichende Religionswissenschaft können daher zu einem besseren Verständnis des AT helfen.
Gattungen definieren sich aus:
- einem bestimmten Schatz von ähnlichen Gedanken und Stimmungen
- einer vergleichbaren deutlichen Formensprache, in der sich diese äußern
- einem gemeinsamen „Sitz im Leben“
Gattungen in Anlehnung an Gunkel sind:
- Klage des Einzelnen (z. B. Ps 3, 7, 12, 13, 26, 28, 54, 56, 57, 142)
- Klage des Volkes (z. B. Ps 44, 60, 74, 79, 80, 83)
- Lob des Einzelnen (z. B. Ps 23, 30, 32, 34, 66, 92, 116, 138, 139, 146)
- Lob des Volkes bzw. Hymnus (z. B. Ps 8, 29, 33, 104, 105, 113, 114, 117, 135, 136, 145–150)
- Königspsalmen (z. B. Ps 2, 45, 72, 101, 110)
- Weisheitspsalmen, auch Torapsalmen (z. B. Ps 1, 19, 37, 73, 78, 119, 127–128)
Viele Psalmen sind allerdings nicht eindeutig einer dieser Gattungen zuzuordnen; die Gattungsanalyse je nach Psalm unterschiedlich ertragreich.
Gunkel selbst geht davon aus, dass die Psalmen mit „reinen“ Gattungen früher sind als die „gemischten“ Typen.
Sigmund Mowinckel:
Mowinckel bringt stärker als Gunkel die Psalmen mit dem israelitischen Kult in Verbindung. Religionsgeschichtliche Vergleiche mit dem babylonischen Kult bringen ihn zu der These, dass das israelitische Neujahrsfest kultisch als Jahwe-Thronbesteigungsfest abgehalten wurde, bei dem jedes Jahr neu Jahwes Herrschaft über die Chaosmächte bestätigt wurde. Viele der Hymnen und Königspsalmen ordnet er diesem Fest zu. Aus diesem Grund werden die Jahwe-Königspsalmen 93–99 auch JHWH-Thronbesteigungspsalmen genannt. Auch alle anderen Psalmen (außer den Weisheitspsalmen) finden bei Mowinckel ihren Platz im Kult. – Mowinckels Position bezüglich des Thronbesteigungsfestes ist allerdings sehr spekulativ und hat keine Anhaltspunkte im biblischen Text.
Arthur Weiser:
Weiser sieht den „Sitz im Leben“ der meisten Psalmen in Zusammenhang mit einem postulierten „Bundesfest“. Anders als Mowinckel sieht er das Hauptinteresse des Psalters mehr beim Bund als bei den Themen Schöpfung und Chaos. Doch auch das „Bundesfest“ bleibt spekulativ.
N. H. Ridderbos:
Ricderbos erreicht eine Ausgewogenheit zwischen Formkritik auf der einen Seite und individueller Stil- und Strukturanalyse der einzelnen Psalmen auf der anderen Seite.
Mitchell Dahood:
Ab 1928 wurde im heutigen Syrien die alte Stadt Ugarit (Blütezeit 14./13. Jh. v. Chr.) ausgegraben; dabei wurden auch Tausende von Tontäfelchen gefunden. Die ugaritische Sprache und Poesie sind nicht sehr weit von der hebräischen Sprache entfernt. Dahood fertigt eine neue Übersetzung des Psalters an, in die sehr stark Erkenntnisse aus der ugaritischen Sprachforschung einfließen. Dahood stellt an vielen Stellen die Vokalisation der Masoreten und auch die überlieferten Bedeutungen der hebräischen Wörter in Frage und übernimmt stattdessen ugaritische Wortbedeutungen.
In der Einschätzung anderer Wissenschaftler geht Dahood in seinem Ansatz an vielen Stellen zu weit. Die Zuverlässigkeit der jüdischen Tradition wird unterschätzt, die Bedeutung der ugaritischen Sprache für das Verständnis des Hebräischen überschätzt. Dennoch bleibt Dahoods Arbeit für die Psalmenexegese von großer Bedeutung.
Gerald Wilson:
Wilson ist ein Schüler von Brevard Childs. Er entdeckt makrostrukturelle Zusammenhänge im Psalter. Nach seiner Analyse bilden Psalm 2, Psalm 72 (Ende von Buch II) und Psalm 89 (Ende von Buch III) ein Rahmenwerk, das die Geschichte des davidischen Königtums von der Einsetzung bis zum Untergang nachzeichnet. Die in Psalm 89 gestellte Frage nach dem Bruch des Davidsbundes wird von Buch IV des Psalters beantwortet, u. a. mit den Jahwe-Königspsalmen (93–99). Buch V beinhaltet dann die Rückkehr aus dem babylonischen Exil.[1]
[1] Gerald H. Wilson, The Editing of the Hebrew Psalter, SBL Diss. Series 76 (Chico, California: Scholars Press, 1985). Für die Eckpunkte seiner Argumentation siehe auch: Gerald H. Wilson, »Shaping the Psalter: A Consideration of Editorial Linkage in the Book of Psalms«, in: J. Clinton McCann, Hrsg., The Shape and Shaping of the Psalter, JSOT Supp 159 (Sheffield: Academic Press, 1993), 72–82; Gerald H. Wilson, »The Shape of the Book of Psalms«, Int 46 (1992), 129–142.
Der Psalter als Buch
Die Arbeit von Wilson bildet den Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von Untersuchungen, die den Psalter nicht mehr nur als Sammlung einzelner Psalmen, sondern als strukturiertes Ganzes verstehen.
Die Doxologien und die fünf “Bücher” des Psalters:
An vier Psalmen sind besondere Doxologien, d. h. Lobpreisformeln, angehängt: 41,14; 72,18f; 89,53; 106,48. Sie zeigen an, dass der Psalter aus fünf sogenannten „Büchern“ besteht (siehe Grobgliederung).
Rahmende Psalmen in Buch I–III:
Die ersten drei Bücher des Psalters vermitteln eine besondere Botschaft über die jeweils rahmenden Psalmen. Auffällig ist dabei vor allem die inhaltliche Entwicklung über die drei Königspsalmen 2, 72 und 89.
Psalmbuch IV – Antwort auf die Frage des verlorenen Königtums:
Von allen fünf Psalmbüchern lässt sich Buch IV am leichtesten „holistisch“ lesen. Dabei ergeben sich auf dem Hintergrund des verlorenen Königtums (Ps 2 – 72 – 89) die folgenden Aussagen:
Ps 90–92: Gott ist ewig, der Mensch vergänglich. Die wirkliche Zuflucht für den Menschen liegt daher nicht in einem menschlichen Königtum, sondern ausschließlich bei Gott. Wer seine Zuflucht bei Gott sucht, wird das Leben finden.
Ps 93–100: Gott selbst ist der König. Er ist Schöpfer, Erhalter und Richter über die ganze Welt. Die ganze Schöpfung soll ihn dafür preisen. Alle Menschen sollen erkennen, dass sie zu seinem Volk gehören.
Ps 101–103: Das erneute Treuegelübde des Menschen einerseits und die Gnade Gottes andererseits sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Bundes.
Ps 104–106: Gott ist der Herr über Schöpfung und Geschichte. Er hat die Welt wunderbar erschaffen und sein Volk wunderbar geführt. Sein Wille ist, dass die Menschen seine Ordnungen bewahren. Es war der wiederholte Ungehorsam des Volkes, der am Ende zum Bruch führte.
Ps 106,47: Das Buch endet mit einem Gebet um Wiederherstellung.
Übergang von Buch IV zu Buch V:
Ps 106,47: Bitte um Rettung; Ps 107,1–3: Dank für erfahrene Rettung; Der Übergang von Buch IV zu Buch V markiert den Übergang von Exil zu Restauration.
Buch V: Formale Struktur:
Das fünfte Psalmbuch ist in drei Abschnitte eingeteilt. Jeder Abschnitt beginnt mit einem Psalm, der durch die Formulierung „Dankt dem HERRN, denn er ist gut, und seine Gnade währt ewig“ gekennzeichnet ist, und endet mit Halleluja-Psalmen. Den Kern bilden im ersten und dritten Abschnitt Davidspsalmen, im zweiten Abschnitt Psalm 119 und die Wallfahrtspsalmen.
Die Intensität der Verwendung der formalen Merkmale steigert sich von Abschnitt zu Abschnitt. In Ps 136 beispielsweise findet sich das „… denn seine Güte währt ewig“ 26x, am Ende von jedem Vers; in Psalm 150 steht „Hallelu …“ insgesamt 12x.
R. Kratz schreibt:[1]
Im Durchgang durch die fünf Bücher durchschreitet der Leser die einzelnen Stationen der Geschichte Israels und vollzieht sie erinnernd und bestätigend nach als Stationen seines eigenen, individuellen Lebens, als Weg von erlittenem Unheil zu erlebtem oder noch erhofftem Heil, als Weg von der politischen Verfaßtheit des Königtums und seinem Untergang in das Reich Gottes, das in der persönlichen Rettungserfahrung, in Toragehorsam und Kult sowie in der Erhaltung und Versorgung des Lebens Wirklichkeit ist und zugleich noch aussteht.
[1] Kratz, »Die Tora Davids«, 27.
Themen des Psalters nach Beat Weber
Das Buch des Psalters behandelt eine Vielzahl von theologischen Themen. Der Psalterexperte Beat Weber bestimmt die Hauptthemen und die „Redeweisen“ des Psalters anhand der sog. Psalterouvertüre, zu der er neben den Psalmen 1 und 2 auch Psalm 3 rechnet, als Vertreter des Corpus von Buch I des Psalters, dem ersten Davidpsalter (Ps 3–41).[1]
Weber schreibt: „Die Psalterouvertüre Ps 1–3 eröffnet den das Buch bestimmenden Dreiklang an Theologie und Spiritualität: Weisheit und Wegweisung (Ps 1) – Königsherrschaft und Prophetie (Ps 2) – Beten und Singen (Ps 3).“[2] Die Redeweisen klassifiziert er wie folgt: „In Ps 1 haben wir es mit weish. Belehrung zu tun (Rederichtung: horizontal), in Ps 2 begegnet uns im Zentrum des Psalms Prophetie (Rederichtung: vertikal, ‚von oben nach unten‘), und in Ps 3 gelangen wir zum ersten Gebet (Rederichtung: vertikal, ‚von unten nach oben‘).“[3] Dabei sind diese Unterscheidungen nicht als Trennungen misszuverstehen. Die unterschiedenen Themen und Redeweisen gehören zusammen und beziehen sich aufeinander.
1. Wegweisung („Weisheit“)
Einerseits verweisen Psalmen immer wieder auf die „zeitlich (Geschichte) wie örtlich (Kanonteile)“ vorausliegenden autoritativen Schriften durch Anspielungen, Zitate oder Aussagen zu den Folgen / Erlebnissen beim „Gebrauch“ sowie Aufforderungen zu Letzterem.[4] Andererseits werden in den Psalmen selbst weisheitliche Aussagen getroffen. Dies fällt z. B. in Psalm 1 durch die Nutzung weisheitlicher Begriffe und Themenkomplexe auf (z. B. gelingendes Leben, Gerechter vs. Frevler). Bei jenen weisheitlichen Belehrungen wird sich grundlegend auf die Tora, die Schöpfung und die (Heils-)Geschichte bezogen.
2. Königsherrschaft Gottes und seines Gesandten („Prophetie“)
Immer wieder gibt es Psalmen, die von der Königsherrschaft Gottes (u. a. die sog. JHWH-Königspsalmen) und von dem Gesalbten (auf dem Davidsthron) sprechen. Hier kommen auch teils die feindlichen Nationen in den Blick, dabei wird in der bisweilen bedrückend beschriebenen Gegenwart die Hoffnung bzw. Gewissheit zum Ausdruck gebracht, dass Gott die Oberhand behält. In solchen Psalmen finden sich auch Gottesworte in prophetischer Rede.
Insgesamt geht es bei diesen Psalmen um die Frage nach Macht und Herrschaft, Vertrauen auf Gottes „Übermacht“ und die Glücklichpreisung derjenigen, die sich seiner Herrschaft und der seines Gesalbten unterstellen.
Zum Messias (G. Wilson, J. Steinberg): Die rahmenden Psalmen von Buch I–III,
Ps 2 – (45) – 72 – 89, zeichnen den Weg des davidischen Königtums nach. Die Antwort auf den Untergang des Königtums im Exil liegt in der Aussage, dass Gott selbst der eigentliche König ist: Buch IV, speziell Ps 93–100. Eine auf die Zukunft gerichtete Messiaserwartung wird vor allem an Psalm 110 deutlich, vgl. Ps 132. Kanonisch betrachtet können aber alle Königspsalmen mit Blick auf den kommenden Messias gelesen werden. Neben den eigentlichen Königspsalmen finden auch viele andere Psalmen eine neutestamentliche Erfüllung in Jesus Christus, z. B. die Leidenspsalmen 22 und 69.
Beten und Singen („Liturgie“)
Durch die Reihenfolge der ersten Psalmen wird deutlich: „Reden zu Gott (Gebet) hat das vorgängige Reden Gottes (Prophetie[, Tora; J. W.]) zur Grundlage.“[5] Eine häufige Gattung des Gebets ist die „Klagebitte“, so auch in Psalm 3. „Sie ergeht aus der Not und erbittet Gottes Eingreifen zur Rettung (vgl. 3 II. 2.). Das Psalmenbuch verortet das Beten zunächst also in den Tiefen menschlicher Not, und die Mitbetenden des Psalters werden angehalten, diesen Weg mitzugehen.“[6] Als Teil der Klagebitten gibt es auch Bekenntnisse und Versprechen. Neben dem Klagen und Bitten (individuell oder vom Volk) sind die Buße, das Loben und das Danken wichtige Formen des Gebets in den Psalmen.
Folgende Themen und Motive des Betens und Singens tauchen wiederholt auf: Rettung, Vertrauen und Zuflucht, Sünde, Schande und Ehre, Schweigen, Gnade. Außerdem gibt es Bezüge auf besondere Zeiten (v. a. Festzeiten), bestimmte Orte (z. B. Zion und Tempel, Himmel, …), den Menschen (u. a. die Widersacher) u. v. m.
[1] Beat Weber, Werkbuch Psalmen. Bd. III: Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2010
[2] Weber, 28.
[3] Weber, 51.
[4] Weber, 29.
[5] Weber, 46.
[6] Weber, 46.
Themen des Psalters und zugehörige Psalmen
Die Schöpfung – Staunen über Gottes Größe, Fragen nach der Rolle des Menschen: Ps 8, 19, 29, 104
Die Tora – Freude an Gottes Weisung, die uns den Weg zum Leben zeigt: Ps 1, 19, 119
Die Heilsgeschichte – den Weg Gottes mit den Menschen verstehen: Ps 78, 105, 106
Der Messias (s. o.)
Die Gemeinde – Jerusalem, Tempel, Feste des Gottesvolkes: 27, 42, 46, 48, 63, 81, 84, 87 u. a.
Das Leben – gesegnetes (Alltags-)Leben: 37, 103, 127, 128 u. a.
Das Leiden – Trost in der Anfechtung: 13, 31, 35, 41, 44, 54, 55, 56, 61, 74, 79, 86, 88, 102, 105 u. a.
Das Vertrauen – „Du bist bei mir“: 23, 37, 63, 73, 91, 121
Die Schuld – Bußgebete: die „sieben Bußpsalmen“ 6, 32, 38, 51, 102, 130, 143; aber auch: 14, 15, 25, 31, 39, 40, 41 u.a.
Die Unschuld (!): 5, 7, 9, 16, 17, 26, 35, 41, 44, 59, 66, 68, 69, 73, 86 u. a.
Die Feinde: Ps 5, 7, 9, 10, 13, 16, 21, 23, 28, 31, 35, 36, 40, 41, 44, 52 u. v. a., bes. 58, 137
Das Ende: 39, 90, 102; Hoffnung auf das Leben 16,9ff; 56,14; 49,16; 73,24; 118,15ff; der endgültige Sieg Gottes und seines Messias: 2, 96, 97, 98, 110, 148–150
Nach: Dietrich Bonhoeffer, Die Psalmen: Das Gebetbuch der Bibel, 14. Aufl. (1. Aufl. 1940), Brunnen, 1995.
Zum Umgang mit den Feindpsalmen
Die Feindpsalmen führen bei heutigen Lesern immer wieder zu Irritationen. Dabei sind sie von grundlegender Bedeutung:
- Das Böse ist real! Menschen widerfährt Ungerechtigkeit, wir sind zornig, wir sehnen uns nach Gerechtigkeit und Vergeltung.
- In den Psalmen werden negative Gefühle nicht unterdrückt, sondern ehrlich ausgesprochen. Die Verarbeitung von erlittenem Unrecht beginnt damit, dass wir es beim Namen nennen.
- In den Psalmen werden die negativen Gefühle vor Gott gebracht. Wenn wir sie ihm nicht anvertrauen können – wem dann?
- Bonhoeffer: Die „Feinde“ in den Psalmen sind auch Feinde der Sache Gottes, die uns um Gottes Willen angreifen. Gottes Zorn und Strafgericht an ihnen sind gerechtfertigt.
- Die Vergeltung wird nicht selbst ausgeführt, sondern Gott anbefohlen. Er wird für Gerechtigkeit sorgen (hm’q’n> neqāmāhteilw. als „Rache“ übersetzt; treffender: „Vergeltung“, so E. Zenger).
- Nur wer ehrlich hasst, kann auch ehrlich lieben. Nur wer sich ehrlich zugesteht, verletzt worden zu sein, kann ehrlich Vergebung aussprechen.
Dennoch: Die Feindpsalmen bleiben eine Provokation, eine Gratwanderung. Sie stellen einen wichtigen Schritt in der Verarbeitung von Unheil dar, aber nicht den letzten.