Das Buch 1.+2. Chronik
Thema: Gottesherrschaft und Gottesgemeinschaft
Wenn mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.
2.Chronik 7,14
Über das Buch
Das Buch 1./2. Chronik ist eine historisch-theologische Erzählung, die die gesamte alttestamentliche Geschichte von der Schöpfung der Welt bis zur Wiederherstellung Israels nach dem Exil zusammenfasst und in eine deutende Gesamtschau vereint. Den Heimkehrern aus der babylonischen Gefangenschaft erklärt die Chronik, wer sie sind bzw. was sie unter „Israel“ verstehen sollen. Als normative Epoche Israels zieht der Chronist dazu das „goldene Zeitalter“ der 12-Stämme-Gemeinschaft unter den Königen David und Salomo heran. Zentrale Themen der Chronik sind das „Haus Gottes“ und das „Haus Davids“, oder mit anderen Worten: der Tempelkult und das Königtum, in welchen sich Gottes Herrschaft über die Menschen und Gottes Gemeinschaft mit den Menschen ausdrückt.
Die Chronik als Teil eines „chronistischen Geschichtswerkes“?
Um den Anfang des 19. Jh. kam die Ansicht auf, Chronik, Esra und Nehemia bildeten zusammen ein einheitliches Werk. Martin Noth fand dafür die klassische Bezeichnung „chronistisches Geschichtswerk“, die er in Gegenüberstellung zum sog. „deuteronomistischen Geschichtswerk“ (Deuteronomium, Josua, Richter, 1./2. Samuel, 1./2. Könige) formulierte. Die These eines chronistischen Geschichtswerkes war bis in die 1960er Jahre relativ unumstritten, kann heute aber weitgehend als widerlegt gelten. Diskutierte Argumente:
1. Die beiden letzten Verse der Chr stimmen mit den ersten drei Versen von EsrNeh fast wörtlich überein. Diese Wiederholung zeige die Zusammengehörigkeit der Werke. – Gegenargument: Bei der „Wiederholung“ könnte es sich genauso gut auch um ein Zitat handeln, wobei die Chronik das Esrabuch zitiert und damit die nachexilische Weiterentwicklung andeutet.
2. Sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Nachdem in der Vergangenheit häufig die sprachlichen Gemeinsamkeiten beider Texte hervorgehoben wurden, zeigen neuere Untersuchungen aber auch detailliert Unterschiede auf.
3. Theologische Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Neuere Untersuchungen weisen auf gravierende inhaltlich-theologische Unterschiede zwischen den beiden Werken hin:
- David spielt in der Chronik eine entscheidende Rolle, in EsrNeh kommt er dagegen nur am Rande vor.
- Die Chronik spricht oft von „ganz Israel“ und betont die Zwölf-Stämme-Gemeinschaft (1Chr 2–8). In EsrNeh findet sich demgegenüber eine starke Abgrenzung der Heimkehrer gegenüber den Samaritanern.
- Die Chr beschreibt die davidisch-salomonische Epoche als Modell, an dem die Ereignisse späterer Zeiten gemessen werden. EsrNeh aber misst die Geschichte nicht an diesem Modell, sondern steht relativ unabhängig davon.
- Die Chr setzt einen starken Akzent auf Geschichtsinterpretation. Dementsprechend spitzt sie zu und schematisiert. EsrNeh hat demgegenüber einen weitaus bescheideneren Ton.
–> Keine Widersprüche zwischen Chr und EsrNeh, aber deutlich unterschiedliche Akzente.
4. Die externe Evidenz bestätigt, dass es sich bei EsrNeh und Chr um zwei verschiedene Werke handelt: In den hebräischen Manuskripten findet sich die Abfolge Chr – EsrNeh fast nie; die beiden Bücher sind entweder voneinander getrennt oder stehen in der umgekehrten Abfolge EsrNeh – Chr. Auch in der griechischen Tradition stehen Chr und EsrNeh oft nicht direkt zusammen, sondern sind durch apokryphe Texte voneinander getrennt.
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Warum wiederholt die Chronik viele Erzählungen, die in den Samuel- und Königebüchern stehen?
Die Chronik enthält zu großen Teilen Materialien, die sich auch in 1./2. Samuel, 1./2. Könige und in einigen anderen Büchern des Alten Testaments finden. Diese Doppelung gibt zu der Frage Anlass, wozu das Buch der Chronik denn überhaupt geschrieben bzw. in die Bibel aufgenommen wurde. Hierzu wurden und werden in der Forschung drei verschiedene Positionen vertreten:
a) Die Chronik als Ergänzung
Traditionell verstand man die Chronik als eine parallele Überlieferung, die vor allem deshalb in die Bibel aufgenommen wurde, weil sie einiges an überschüssigem Material gegenüber Samuel und Könige enthält. In der Septuaginta-Tradition wird das Buch deshalb betitelt mit
„Paraleipomenon ton basileion Iouda“ „Die übergangenen Ereignisse in der Geschichte der Könige von Juda“. Dem entspricht die Platzierung der Chronikbücher hinter den Königebüchern.
b) Die Chronik als Ersetzung
Der älteren wissenschaftlichen Schulmeinung zufolge ist die Chronik als ein bewusster Gegenentwurf zur Geschichtsdarstellung in Samuel und Könige entstanden. Teilweise wird die Chronik auch zusammen mit Esra und Nehemia als „chronistisches Geschichtswerk“ bezeichnet, das dem „deuteronomistischen Geschichtswerk“ (Deuteronomium, Josua, Richter, 1./2. Samuel, 1./2. Könige) gegenübergestellt wird. Hierbei muss allerdings gefragt werden, ob zwei einander bewusst widersprechende Geschichtsdarstellungen wirklich in ein und denselben Kanon heiliger Schriften aufgenommen worden wären.
c) Die Chronik als Erklärung
Die dritte, heute zunehmend vertretene Position besagt, dass die Chronik als bewusste Interpretation anderer biblischer Bücher zu verstehen ist. Die Wiederholungen sind demnach beabsichtigt; es handelt sich um eine deutende Zusammenstellung anderer alttestamentlicher Texte.
Thomas Willi z. B. beschreibt die Chronik als nachexilische Neuausgabe der Geschichte Israels. Er beobachtet, dass die Chronik beim Leser die Kenntnis anderer alttestamentlicher Bücher voraussetzt. Er schreibt:
… ohne die Samuel- und Königs-Bücher (in geringerem Maße, aber in gleichem Sinn, den Pentateuch und einige andere ältere biblische Schriften), und zwar gerade auch deren nicht aufgenommene Partien, läßt sich die Chronik nicht verstehen; ja mehr noch: sie will gar nicht ohne sie verstanden sein. Ihre Art der Geschichtsschreibung, Auslegung im besten Sinne des Wortes, hat das Ziel, zum Verständnis der Quelle anzuleiten, die Primärvorlage auf einen bestimmten historisch-theologischen, d.h. heilsgeschichtlichen Gegenstand hin durchsichtig zu machen, zu erhellen, den Text der Vorlage auf dieses Thema hin zu konzentrieren und Zusammenhänge aufzudecken.[1]
[1] Thomas Willi, Die Chronik als Auslegung: Untersuchungen zur literarischen Gestaltung der historischen Überlieferung Israels (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1972), 66.
Wenn die Chronik nicht nur biblische Geschichte, sondern auch biblische Geschichtsbücher »auslegt«, hat dies auch Konsequenzen im Hinblick auf die Frage nach dem Kanon. –> vierte Position:
Die Chronik als „kanonisches Abschlussphänomen“
Georg Steins versteht die Chronik als „kanonisches Abschlussphänomen“. Er schreibt: »Die Chronik rekapituliert die Geschichte des Volkes Israel von Adam bis zum Exil, wie sie in den ersten beiden Kanonteilen enthalten ist; sie verbindet … fast alle bis dahin im Kanon vorhandenen Traditionen.« Außerdem lassen nach Steins Anfang und Ende der Chronik Bezüge zu Anfang und Ende der Genesis erkennen. Das Buch der Chronik wurde nach Steins möglicherweise zu dem Zweck geschrieben, eine Gestalt der Ketuvim und des alttestamentlichen Kanons abzuschließen. Den Zeitpunkt dieses Geschehens datiert Steins in die erste Hälfte des 2. Jhd. v. Chr., genauer in »die Epoche der Restauration nach dem Scheitern des hellenistischen Reformversuchs und nach Antiochos IV«. Nach Steins wurde allerdings die neu geschaffene Kanongestalt nicht sofort allgemein aufgenommen, sondern konnte sich erst frühestens am Ende des 1. Jhd. n. Chr. durchsetzen.[1]
Auch Hendrik J. Koorevaar vertritt die These, die Chronik sei geschrieben worden, um den alttestamentlichen Kanon abzuschließen. Die Chronik betont nach seiner Analyse die Bedeutung Davids und des Tempels innerhalb des universalen Welthorizontes von Adam bis Kyrus und bildet damit die Quintessenz des Alten Testaments.[2]
In zwei Punkten unterscheidet sich die Analyse Koorevaars von der Steins’. Zum einen sieht Koorevaar am Ende der Chronik nicht einen Bezug zum Ende von Gen, sondern einen Bezug zu EsrNeh – der in Form eines direkten Zitates auch offensichtlich gegeben ist. Praktisch alle belegten Buchanordnungen aus dem jüdischen Raum, die mit Chr enden, haben EsrNeh als vorletztes Buch des Kanons. Daraus, dass die Chr am Anfang das erste und am Ende das vorletzte Buch des Kanons (vor der Chronik) aufgreift, kann Koorevaar eine Siegelfunktion der Chronik für den alttestamentlichen Kanon ableiten, was den Abschlusscharakter noch unterstreicht.
Zum andern datiert Koorevaar den Abschluss des Kanons nicht in die makkabäische, sondern in die persische Zeit. Auch hier bildet eine Phase der Restauration den geeigneten zeitgeschichtlichen Hintergrund. Die Zusammenbindung des Kanons erfolgte nach Koorevaar vermutlich unter persischer Autorisation. Dies kann erklären, warum die Hebräische Bibel mit der Nennung des Kyrus endet. Die Entstehung der Chronik wird außerdem von der Mehrheit der Ausleger in die persische oder frühhellenistische Zeit datiert.[3]
[1] Georg Steins, Die Chronik als kanonisches Abschlußphänomen, BBB 93 (Weinheim: Beltz Athenäum, 1995), 514f.
[2] Koorevaar, »Chronik als Kanonabschluss«, 60f.
[3] Den Abschlusscharakter der Chronik sehen z. B. auch Roger T. Beckwith, The Old Testament Canon of the New Testament Church: And its Background in Early Judaism (Grand Rapids, Michigan: Eerdmans, 1985); Peter Brandt, Endgestalten des Kanons: Das Arrangement der Schriften Israels in der jüdischen und christlichen Bibel, BBB 131 (Berlin u. a.: Philo, 2001); Martin J. Selman, 1/2 Chronicles: An Introduction and Commentary, TOTC 10 (Leicester u. a.: Inter-Varsity, 1994); Paul R. House, Old Testament Theology (Downers Grove, Illinois: InterVarsity, 1998).
Autorschaft und Datierung
Über den Verfasser ist uns nichts bekannt. Zur Datierung der Chronik lassen sich einige Anhaltspunkte aus dem Buch selbst heranziehen. Die letzten genannten Ereignisse lassen auf ein frühestmögliches Entstehungsdatum um 515 v. Chr. schließen. Da die großen politischen Umwälzungen der hellenistischen Zeit (ab ca. 320 v. Chr.) keinen Niederschlag im Buch gefunden haben, wird als spätestes Entstehungsdatum von vielen Auslegern ca. 300 v. Chr. angenommen, einige datieren das Buch auch noch etwas später. Die ältesten bekannten Handschriften der Chronik stammen aus den Höhlen von Qumran.[1]
[1] Steins (in Zenger u.a., Einleitung 92016, 323–327) spricht sich für einen komplexen Vorgang der Textproduktion mit mehreren Bearbeitungen in einer relativ kurzen Zeit im klerikal-schriftgelehrten Milieu des Jerusalemer Tempels nicht vor dem 3. Jh. mit Esra/Neh als einer von mehreren Quellen als Bezugspunkten statt einer gestaffelten und zeitlich lang gestreckten Entstehung aus. Dillard / Longman (Introduction, 194) sprechen sich für die Entstehung in persischer Zeit durch wahrscheinlichen einen Autor und evtl. spätere Redaktionen aus. Childs (Introduction, 646–647) spricht sich für einen selektiven Quellengebrauch des Chronisten aus, bei dem dieser Traditionen erläutert. Japhet (1 Chronik HThKAT, 54) geht von einer Entstehung im späten 4. Jh. v. Chr. aus. Braun (1 Chronicles WBC, xxix) geht von einem Entstehungsprozess mit mehreren Redaktionen und Erweiterungen bis zum Erreichen der Endgestalt um 350–300 v. Chr. aus. (Fußnote erstellt von Jens Winarske)
Literarische Struktur
Zu den zentralen Reden:
- Lange wörtliche Reden sind auch in der klassischen Literatur für die Interpretation von besonderer Relevanz. Dies gilt besonders für Gebete und noch mehr für Reden Gottes.
- Im Abschnitt über David und im Abschnitt über Salomo findet sich jeweils ein ausführliches Gebet eines Königs zu Gott und eine lange Rede Gottes an den König.
- Im Fall der Salomoerzählung liegt eine eindeutige konzentrische Struktur vor, die die zentrale Bedeutung der beiden Reden noch strukturell unterstreicht. Bei der Daviderzählung ist die Konzentrik weniger eindeutig, aber dennoch gut möglich.
- Alle vier Reden handeln vom Doppelthema Haus Davids / Haus Gottes.
Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass es sich hierbei um zentrale Elemente der Botschaft der Chronik handelt.
Theologische Aussagen
1. Vorgeschichte: Geschlechtsregister des Volkes Israel von Adam an (1Chr 1–9)
Die große Genealogie von 1Chr 1–9 befasst sich speziell mit der Identität des Volkes Israel. Das erste Kapitel bettet die Geschichte Israels in den gesamt-menschlichen Rahmen ein. Die Kapitel 2–8 beschreiben das vorexilische Israel als eine Gemeinschaft aus zwölf Stämmen. Kapitel 9 gibt eine Liste von Einwohnern Jerusalems nach dem Exil wieder, die mit Nehemiah 11 vergleichbar ist. Die nachexilische, aus der Sicht der Chronik gegenwärtige Gemeinschaft wird damit in Kontinuität zum vorexilischen Israel gestellt.
Der Zweck der Genealogie ist demnach, der durch Kriegswirren und Verschleppung desorientierten und in ihrer Identität bedrohten nachexilischen jüdischen Gemeinschaft vor Augen zu führen, wer sie sind, d. h. die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Obwohl das nachexilische Israel nur mehr aus den Stämmen Juda und Benjamin besteht, ist es dem Chronisten dabei immer wichtig, die Gesamtheit der zwölf Stämme zu betonen.
2. Das goldene Zeitalter I: David und das Königtum (1Chr 10–29)
Die Zeit Davids und Salomos stellt der Chronist als die formative Epoche in der Geschichte Israels dar. Alle späteren Ereignisse haben sich an dieser Epoche zu messen.
Für seine Davidsdarstellung verwendet der Chronist u. a. biblische Quellen aus 1Sam 31, 2Samuel 1–24 sowie 1Kön 1. Seine Präsentation ist jedoch nicht einfach eine Wiederholung der dort berichteten Ereignisse: Vielmehr präsentiert der Chronist das Material in ganz neuer Form. Viele historische Einzelheiten sind weggelassen, die chronologische Reihenfolge ist oft zugunsten einer thematischen Zusammenstellung aufgegeben. Insgesamt ist die gesamte Darstellung zugespitzt auf zwei zentrale Themen:
- das Haus, das David für Gott bauen will, d. h. der Tempel und die Einrichtung des Kultes. Diese Aufgabe wird jedoch auf Davids Sohn Salomo übertragen.
- das Haus, das Gott für David bauen will, d. h. die Festigung seines Königtums und der Aufbau einer Dynastie von Königen aus dem Stamm Davids.
–> „Gottesherrschaft“
Die Daviderzählung lässt sich in fünf Abschnitte einteilen. Diese lassen sich auch im Sinne eines konzentrischen Aufbaus verstehen. Der erste und der letzte Abschnitt (Kap. 10–12 und 20–29) behandeln jeweils die Krönung eines Königs. Die Abschnitte entsprechen sich auch formal, da jeweils ein negatives Ereignis am Anfang steht und der Bericht von der Krönung zweigeteilt und mit thematisch zugehörigem Material aufgefüllt ist. Der zweite Abschnitt (Kap. 13–16) behandelt den Bau des „Hauses Gottes“, d. h. den Transport der Bundeslade nach Jerusalem und die Einrichtung des Kultes, der vierte Abschnitt (Kap. 18–20) hat dem gegenüber den Bau des „Hauses Davids“ zum Inhalt, d. h. die Festigung des Königtums. Im Zentrum steht Kap. 17, das die beiden zentralen Themen der Daviderzählung direkt anspricht.
Die Ansicht eines konzentrischen Aufbaus von Kap. 20–29 wird dadurch noch gestützt, dass auch die Salomoerzählung konzentrisch aufgebaut ist und ihr Zentrum das gleiche Themenpaar von „Haus Gottes“ und „Haus Davids“ enthält.
3. Das goldene Zeitalter II: Salomo und der Tempel (2Chr 1–9)
Die Salomodarstellung des Chronisten basiert auf Materialien aus 1.Kön 1–11. Im Vergleich zur Vorlage fällt aber auch hier wieder eine stärkere literarische Formung auf. Der Text ist auf das hin konzentriert, was der Chronist deutlich machen will. So lässt der Chronist die Erzählungen über den Thronfolgekonflikt (1Kön 1–2) weg. Auch die Sünde Salomos am Ende seines Lebens (1Kön 11) wird nicht erwähnt. Zentral hervorgehoben wird demgegenüber der Bau des Tempels.
Noch offensichtlicher als die Daviderzählung ist die Salomoerzählung konzentrisch aufgebaut (nach R. Dillard).
Die beiden Rahmenteile 2Chr 1,1–17 und 9,13–28 dokumentieren Salomos Reichtum und Weisheit. Parallele Angaben über Salomos Pferde (1,14; 9,25) und die Aussage, er habe Silber und Gold in Jerusalem so gewöhnlich gemacht wie Stein (1,15; 9,27), unterstreichen die rahmende Funktion dieser Abschnitte.
Der zweite Ring besteht aus den beiden Abschnitten 2,1–18 und 8,17–9,12. In beiden Texten geht es um die internationalen Beziehungen Salomos. Der Handel mit Hiram ist beiden Texten gemein (2,3; 8,18). Auffällig ist, dass sowohl Hiram als auch die Königin von Saba zum Ausdruck bringen, dass Gott Israel sehr lieben muss (2,11–12; 9,7–8). Diese Parallele ist durch den Chronisten angelegt. In der Vorlage findet sich die Aussage wörtlich nur bei der Königin von Saba (1Kön 5,7; 10,9).
Der dritte Ring besteht aus den beiden Abschnitten 2Chr 3,1–5,1 und 8,1–16. Beide Abschnitte handeln von Salomos Bautätigkeiten. Während es im ersten Abschnitt um den Bau des Tempels geht, behandelt Kap. 8 auch andere Bautätigkeiten Salomos. Es ist aber auffällig, dass das Kapitel mit einem Verweis auf den Tempelbau beginnt und endet.
Das Zentrum innerhalb der drei Ringe umfasst den Abschnitt 5,2–7,22, die Einweihung des Tempels –> „Gottesgemeinschaft“. Wie im Zentrum der Daviderzählung, so stehen auch im Zentrum der Salomoerzählung ein königliches Gebet und eine Rede Gottes.
4. Nachgeschichte: Das Königtum von Juda bis zum Exil (2Chr 10–36)
Der dritte Hauptteil der Chronik öffnet mit einem Bericht über den Abfall der Nordstämme Israels. Daran schließt sich eine Reihe kleinerer und größerer Texteinheiten an, die die Geschichte der Könige von Juda in chronologischer Abfolge darstellen.
Anders als in der Vorlage im 2. Königebuch werden die Könige des Nordreichs Israels nicht dargestellt. Namen von Königen des Nordreichs fallen lediglich an solchen Stellen, wo von Konflikten oder auch Bündnissen zwischen Nord- und Südreich berichtet wird. Auch hier setzt der Chronist also wieder die Königebücher als bekannt voraus. Theologisch gesehen bedeutet das, dass das „wahre Israel“ für den Chronisten diejenigen Menschen sind, die sich zum König in Davids Nachfolge zählen.
Mit seiner Geschichtsdarstellung verfolgt der Chronist ein bestimmtes Ziel: Er will eine
Theologie der „unmittelbaren Vergeltung“ („immediate retribution“) sichtbar machen, d. h. unmittelbare Belohnung guter Taten und unmittelbare Bestrafung schlechter Taten. Dieses Prinzip wird an vielen Stellen im Text direkt angesprochen. Die bekannteste Stelle hierzu ist 2Chr 7,14:
Wenn mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.
Das Prinzip wird in den Berichten über die einzelnen Könige in immer wiederkehrenden Formulierungen deutlich gemacht.
- Gehorsam drückt sich aus durch: Gott „suchen“, sich vor Gott „demütigen“, den Kult am Tempel unterstützen u. a. à Segen: Erfolg, Wohlstand, Bauprojekte, militärische Erfolge, viele Nachkommen, Unterstützung durch Volk usw.
- Ungehorsam drückt sich aus durch: Vernachlässigung des Tempelkultes, Verehrung fremder Götter, Vertrauen auf militärische Allianzen anstatt auf Gott à Fluch: militärische Niederlagen, Abfall des Volkes, Krankheit usw.
5. Das Edikt des Kyrus (2Chr 36,22–23)
Die letzten beiden Verse der Chronik bestimmen den Blickwinkel, aus dem das gesamte Werk gelesen sein will. Es handelt sich um ein Zitat der ersten Verse von EsrNeh, mit dem die Rückkehr aus dem Exil und die weitere nachexilische Entwicklung angedeutet werden. Obwohl die Chronik in der nachexilischen Zeit geschrieben wurde, ist diese Epoche aber nicht mehr eigentlicher Gegenstand der Geschichtsbetrachtung. Die Schlussverse lesen sich wie eine Aufforderung, die eigene, d. h. nachexilische Zeit in Bezug zu setzen zur formativen Epoche des ersten Tempels. Wieder hat ein König von Gott die Herrschaft bekommen. Wieder ist der Auftrag zum Bau des Tempels gegeben. So beginnt mit 2Chr 36,22f die Geschichte von Neuem.