Der Prophet Micha

Thema: Die assyrische Krise und der neue David

Wo ist solch ein Gott, wie du bist,
der die Sünde vergibt
und erlässt die Schuld denen,
die übriggeblieben sind von seinem Erbteil;
der an seinem Zorn nicht ewig festhält,
denn er ist barmherzig!

Micha 7,18

Der Prophet und seine Zeit

Im Alten Testament sind zwei Propheten mit dem Namen Micha bekannt:

  • Micha, Sohn des Jimla, der zur Zeit des Ahab im Nordreich lebte (Regierungszeit 874–853 v. Chr., 1Kö 22,8–28; 2Ch 18,3–27)
  • Micha von Moreschet, der zur Zeit der Könige Jotam, Ahas und Hiskia weissagte (ca. 740–690, Micha 1,1).

Der Name ist eine Kurzform von Michael oder Michajah mit der Bedeutung „Wer ist wie Gott?“ bzw. „Wer ist wie Jhwh?“. Eine Deutung wird in 7,18 gegeben: „Wer ist ein Gott so wie du, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die übriggeblieben sind von seinem Erbteil … “

Micha von Moreschet wird auch in Jeremia 26,17–19 erwähnt als ein Prophet, auf den man gehört hatte.

Man nimmt an, das Micha von bäuerlicher Herkunft war. Er prangert an vielen Stellen die Unterdrückung der ärmeren Bevölkerungsschichten durch die Reichen an. Deshalb wird er auch „Prophet der Armen“ genannt.

Die ersten Worte Michas sind an Jerusalem und Samaria gerichtet und müssen daher noch vor dem Fall Samarias 722 v. Chr. gesprochen worden sein. Einige der anderen Texte können sich aber auch auf die Zeit nach dem Fall Samarias beziehen. Assyrien ist durchgehend der Hauptfeind. Die überraschende Errettung Jerusalems 701 v. Chr. klingt möglicherweise in Micha 1,9 und 5,4f an.

Die große Friedensweissagung in Micha 4,1–4 ähnelt der von Jesaja 2,2–4. Dies unterstreicht die zeitliche Einordnung.

Literarkritik

Folgende Argumente werden für eine schichtweise Entstehung des Michabuches angeführt:

a) Jer 26,18 nennt Micha und gibt mit wenigen Worten seine Botschaft wieder. Darin enthalten sind aber nur Gerichtsworte, während das Michabuch auch viele Heilsworte enthält. Daraus wird gefolgert, dass das Michabuch zur Zeit Jeremias lediglich aus Gerichtsworten bestand. Dahinter steht eine ältere Ansicht historisch-kritischer Rekonstruktionsansätze, dass nämlich die Propheten des 8. Jh. ursprünglich nur Gerichtsworte ausgesprochen hätten (B. Stade, 1881).

Dagegen ist zu sagen: Die These, dass die Propheten des 8. Jh. ursprünglich nur Gericht angekündigt hätten, lässt sich nicht rechtfertigen. Das Zitat in Jeremia ist viel zu kurz, um daraus einen Schluss für die Gesamtaussage des Michabuches zu ziehen. In der in Jeremia wiedergegebenen Verhandlung ging es um die Frage, ob Propheten, die unangenehme Worte verkünden, verfolgt werden sollen. Es hätte keinen Sinn gemacht, als Beispiel ein Heilswort Michas zu zitieren.

b) In Micha 4,10 wird von einer kommenden Wegführung nach Babel gesprochen. Eine solche Aussage kann basierend auf dem Prinzip des „methodischen Naturalismus“ kaum ins 8. Jh. datiert werden.

Allerdings stand König Hiskia von Juda in Verbindung mit Babel und dem babylonischen König Merodach-Baladan (2Kö 20,12–19). Hiskia zeigt den Gesandten des babylonischen Königs alle seine Schätze. Darauf prophezeit Jesaja ihm, dass alle diese Schätze einmal zusammen mit den Königssöhnen nach Babel verschleppt werden. Dieses Ereignis ist sowohl in 2Kö 20 als auch in Jes 39 dokumentiert. So bezeugt der biblische Text, dass nicht nur Micha, sondern auch Jesaja eine solche zutreffende Ankündigung über hundert Jahre vor ihrem Eintreffen gemacht hat.

In der Sicht der Propheten war das Südreich Gott ebenso ungehorsam wie das Nordreich. Daher ist es gut möglich, dass sie schon im 8. Jh. für das Südreich ein analoges Schicksal erwarteten, wie es für das Nordreich eingetreten war. Nach dem Scheitern der Assyrer machten sich die ersten Anzeichen für eine Machtübernahme durch die Babylonier bemerkbar.

  • Nordreich Gott ungehorsam –> Gericht durch Großmacht Assyrer (Samaria zerstört 722 v. Chr.)
  • Südreich Gott ungehorsam –> Assyrer gescheitert (Jerusalem erfolglos belagert 701 v. Chr.) –> Gericht durch ??? –> neue Großmacht Babylonier

c) Die „Doppelüberlieferung“ von Micha 4,1–5 und Jesaja 2,1–5 legt nach der Ansicht von R. Kessler (HThK, 41) „ein diachrones Erklärungsmodell nahe“. Auch andere Beobachtungen zur Sprache und Vorstellungswelt weisen nach Kessler auf einen exilischen und teilweise sogar nachexilischen Hintergrund hin.[1]

Genau betrachtet sind diese Argumente aber nicht zwingend. Sie sind mehr von hermeneutischen Vorentscheidungen bestimmt als vom Text selbst.

Exegetisch: Das Buch selbst präsentiert sich uns als ein kohärentes Ganzes. Vom Text selbst betrachtet sind daher literarkritische Annahmen unnötig.

Historisch: Die Ankündigung der Eroberung durch die Babylonier ist, obwohl sie faktisch erst hundert Jahre später erfolgte, auch zur Zeit Michas nicht völlig aus der Luft gegriffen (siehe Argumente oben). Gott als der Herr über die Geschichte teilt seinen Propheten auch Zukünftiges mit. Eine Spätdatierung ist daher nicht notwendig.

Fazit: Das Buch präsentiert sich uns als einheitliches Werk mit Worten des Propheten Micha und kann ohne Weiteres auch so gelesen werden.

[1]     Zenger (in Zenger u. a., Einleitung 92016, 676) geht von einem mehrstufigen Entstehungsprozess vom 7. Jh. bis zum Ende der Perserzeit bzw. bis in die hellenistische Zeit aus. Dillard / Longman (Introduction, 450–451) sprechen sich für Micha als Autor des ganzen Buches aus. Childs (Introduction, 432–436) spricht sich für einen Editierungsprozess aufgrund intertextueller Einflüsse durch die gleichen Tradenten wie bei Jesaja bis in die nachexilische Zeit aus. Smith (Micah–Malachi WBC, 8–9) geht von einem Grundbestand zur Zeit Michas um 700 v. Chr. und möglicherweise Redaktionen spätvorexilischer, exilischer und nachexilischer Zeit aus. Kessler (Micha HThKAT, 41–47) spricht sich unter Hinweis auf die Schwierigkeiten der Datierung für eine mehrstufige Entstehung vom 7. Jh. bis in die spätpersische oder frühhellenistische Zeit aus. Fußnote erstellt von Jens Winarske.

Micha

Bibelkunde-Skript

Propheten Einführung

Bibelkunde-Skript

Die literarische Struktur des Michabuches als Abfolge von Gerichts- und Heilsworten

In der Forschung werden verschiedene Ansätze zur Gliederung des Buches vertreten. Der folgende Ansatz orientiert sich an der Abfolge von Gerichts- und Heilsworten.

Micha

Die literarische Struktur des Buches Micha im Detail

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach