Das Buch Prediger / Kohelet

Thema: Das Leben genießen und Gott fürchten angesichts der Grenzen des Lebens und der Erkenntnis

Einführung

Platz im Kanon

Der Prediger findet sich in den verschiedenen Bibelausgaben meist in einer Gruppe mit den anderen Weisheitsbüchern Sprüche und Hiob bzw. in einer Gruppe mit den anderen „salomonischen“ Büchern Sprüche und Hoheslied.

Name des Buches

Der Name des Buches leitet sich von seinem hauptsächlichen Sprecher ab, hebr. „Qohelet“ (auch: Kohelet, Qohälät), in der LXX mit Ecclesiastes wiedergegeben. Sowohl das hebräische als auch das griechische Wort bezeichnen wahrscheinlich eine Person, die etwas mit einer Versammlung zu tun hat (hebr. von qahal „Versammlung“). Davon leitet sich auch die deutsche Bezeichnung „Prediger“ ab. Eine andere geeignete Übersetzung wäre „Lehrer“. In Pred 12,9 wird Qohelet als Weiser und als Lehrer bezeichnet.

Autorschaft und Datierung

Autorschaft

a) Qohelet = Autor = Salomo: Nach traditioneller jüdischer und christlicher Auffassung wird Qohelet mit König Salomo identifiziert. Gründe sind die Angabe von Pred 1,1 „Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem“ und die Darstellung Qohelets als sehr reichen und weisen König in Pred 1,12ff. Daneben gilt Salomo als der alttestamentliche „Vater“ der Weisheit.

b) Qohelet = Autor; Salomo als literarische Travestie (Rollenspiel): Es ist allerdings auch möglich, dass Qohelet in 1,12ff lediglich gedanklich in die Rolle Salomos schlüpft, dass es sich also um eine sog. literarische Travestie handelt. Salomos Weisheit und Reichtum, verbunden mit der Tatsache seines letztendlichen Scheiterns, sind ein besonders geeignetes Beispiel, die Frage nach dem Sinn allen irdischen Strebens zu stellen. Die Angabe in 1,1 wäre dann als Vorbereitung für diese fiktionale Identifikation anzusehen. Folgende Argumente sprechen für diese Ansicht:

  1. Der Name Salomo wird nicht explizit genannt, sondern nur angedeutet – anders als im Sprüchebuch und im Hohenlied.
  2. Die Vergangenheitsform „Ich war König“ in 1,12 klingt merkwürdig; Salomo hätte selbst nicht so über sich gesprochen.
  3. Die salomonische Perspektive wird nach dem zweiten Kapitel des Buches fallengelassen.

Literarische Travestie ist nicht mit Pseudepigraphie zu verwechseln. Während bei Pseudepigraphie eine Täuschungsabsicht vorliegt, um einem Buch mehr Geltung zu verschaffen, ist die literarische Travestie ein Stilmittel, das von den Lesern als solches identifiziert werden kann und sollte.

c) Anonymer Autor; Qohelet als literarische Figur; Salomo als literarische Travestie: Genau genommen ist allerdings Qohelet auch gar nicht der Autor des Buches, sondern lediglich eine Figur, die darin zu Wort kommt. Die ersten und letzten Sätze des Buches sprechen über Qohelet in der dritten Person. Damit stammt das Buch also genau genommen von einem anonymen Autor, der eine literarische Figur namens Qohelet sprechen lässt, die er wiederum in die Rolle Salomos schlüpfen lässt. Ob hinter der Figur „Qohelet“ tatsächlich eine eigene Person steht oder ob der Autor durch die Figur „Qohelet“ seine eigenen Gedanken zum Ausdruck bringt, kann nicht entschieden werden.

Datierung

Die Frage der Datierung ist direkt mit der Frage der Autorschaft verbunden. Salomo regierte von 971–931 v. Chr. Wenn eine salomonische Autorschaft nicht angenommen wird, ist beinahe jedes Datum im Zeitraum von ca. 900 bis 200 v. Chr. möglich; von 200 v. Chr. stammt das älteste erhaltene Manuskript des Buches (Qumran); außerdem macht Jesus Sirach (ca. 180 v. Chr.) vom Predigerbuch Gebrauch. Ein Argument für eine Datierung des Buches in die hellenistische Zeit (ab ca. 300 v. Chr.) ist vor allem der Eindruck der späten Sprachform. Ein Einfluss griechischer Philosophie wird verschiedentlich vermutet, worin dieser aber genau besteht, ist umstritten. Auch die inhaltlichen Differenzen zum Sprüchebuch werden als Argument für eine Spätdatierung angeführt (Prediger als „Krise der Weisheit“). Keines der Argumente ist jedoch zwingend. Deshalb muss die genaue Datierung des Buches offen bleiben.

Probleme der Auslegung

Probleme der Auslegung

Schon von den jüdischen Rabbinern wie auch von den frühen christlichen Kirchenvätern wurde das Predigerbuch kontrovers diskutiert. Und auch von heutigen Auslegern, ob „liberal“ oder „konservativ“, wird das Buch mehr oder weniger als Problemfall betrachtet. Problembereiche sind:

  • der insgesamt sehr skeptisch erscheinende Ton der Ausführungen („Alles ist Windhauch“)
  • innere Widersprüche (z. B. Verurteilung des Genusses in 2,1f und Aufruf zum Genuss in 2,24; Kritik am Ausruhen in 4,5 und Lob des Ausruhens in 4,6)
  • Widersprüche gegenüber dem Sprüchebuch (Hinterfragung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs)
  • Widersprüche gegenüber der biblischen Lehre (z. B. Skepsis gegenüber einem Leben nach dem Tode; Aufruf zum Genuss des Lebens als höchstem Lebensziel)
  • ein unübersichtlicher literarischer Gesamtaufbau
Literarkritik

In der Vergangenheit hat man versucht, den scheinbar unübersichtlichen literarischen Gesamtaufbau und die scheinbaren inneren Widersprüche über diachrone Ansätze aufzulösen, d. h. man hat versucht, verschiedene redaktionelle Schichten im Buch zu identifizieren, entweder in der Form einer Grundschrift mit nachträglichen redaktionellen Bearbeitungsschichten oder in der Form einer nachträglich redigierten Sammlung einzelner Sentenzen. Einen breiteren Konsens hat allerdings keiner der Ansätze erreicht. Heute werden solche diachronen Erklärungsversuche nur noch vereinzelt unternommen. Hingegen hat sich eine größere Gruppe von Auslegern gebildet, die das Buch als einheitliches Ganzes begreifen.

Eine Ausnahme davon bildet der Epilog in Pred 12,9–14, der oft als nachträgliche Hinzufügung angesehen wird. Dies hat jedoch nur Bestand, wenn man Qohelet als Autor des Buches ansieht. Berücksichtigt man hingegen die literarische Eigenart des Buches, dass nämlich Qohelet lediglich eine literarische Figur ist, die der Autor des Buches zitiert (siehe das die wörtliche Rede einleitende „so sprach Qohelet“ in 1,2; 7,27 und 12,8), so lautet die Frage nicht mehr, ob der Epilog von Qohelet stammt, sondern vielmehr umgekehrt, ob Qohelet vom „Epilogisten“ stammt, d. h. ob Qohelet eine Erfindung des Autors ist oder eine eigene Person.

Prediger

Bibelkunde-Skript

3.3.5 Prediger

Aufbau und Botschaft (wissenschaftlich)

Literarischer Aufbau

Literarische Struktur – Forschungsansätze
  • Viele Ausleger haben versucht, im Buch eine Argumentationsstruktur zu entdecken, wie sie für moderne, „westliche“ Abhandlungen üblich ist. Die verschiedenen Vorschläge weichen allerdings sehr stark voneinander ab.
  • Andere Ausleger haben daraus den Schluss gezogen, dass das Buch keine durchgehende Struktur besitzt, sondern dass es sich vielmehr um eine lose Aneinanderreihung von Abschnitten („Sentenzen“, K. Galling) handelt.
  • G. A. Wright hat versucht, das Buch an bestimmten formalen Merkmalen entlang zu strukturieren, nämlich der Aussage „Es ist alles eitel und Haschen nach Wind“ für 1,1–6,9; Aussagen mit „nicht ergründen“ oder „wer ergründet“ für 6,10–8,17; sowie Aussagen mit „nicht wissen“ bzw. „wer weiß“ für 9,1–11,6.

Nach heutiger Einschätzung war Wright auf einer richtigen Spur, ging aber noch zu schematisch vor.

Neue literaturwissenschaftliche Ansätze versuchen, die dem Buch eigene Struktur aus einem Ineinander von formalen und inhaltlichen Merkmalen zu erarbeiten. Dabei beginnt sich zum ersten Mal in der Auslegungsgeschichte ein Konsens abzuzeichnen, zumindest was Teile der Buchstruktur angeht.

Der erste Hauptteil

(Die folgende Analyse nach Steinberg, Ketuvim)

Der zweite Hauptteil

Der dritte Hauptteil

Der Gesamtaufbau des Predigerbuches

Die Botschaft nach Buchteilen

Rahmen

Alles Geschehen unter der Sonne ist „Windhauch“. Es ist unbedeutend, vergänglich und sinnlos, wenn es aus der Perspektive von Tod und Ewigkeit betrachtet wird.

Erster Hauptteil (1,3–3,9)

Es gibt für den Menschen keinen bleibenden Gewinn unter der Sonne, weder in Taten noch in der Weisheit noch im Genuss. Es gibt nichts Besseres für ihn, als sein Leben aus der Hand Gottes zu nehmen und zu genießen.

Zweiter Hauptteil (3,10–8,17)

Der Mensch kann das Walten Gottes in der Welt nicht ergründen. Vieles erscheint ihm sinnlos oder gar ungerecht. Er soll angesichts dessen aber nicht aufbegehren, sondern sich der eigenen Grenzen bewusst werden, sich in Selbstbescheidung, Kontemplation und Respekt vor Gott üben. Für den Menschen gibt es nichts Besseres, als das Leben, das ihm von Gott geschenkt ist, in seiner Rätselhaftigkeit anzunehmen und zu genießen.

Dritter Hauptteil (9,1–12,7)

Genieße und gestalte dein Leben, solange du es hast; in den Wechselfällen und Unwägbarkeiten des Alltags handle weise; genieße deine Jugend – in Respekt vor Gott –, bevor Altersbeschwerden und Tod kommen.

Nachwort (12,9–14)

Auf jeden Fall fürchte Gott und halte seine Gebote. Denn er wird am Ende über jedes Werk gerecht richten.

Botschaft (II)

1. Bestandsaufnahme: Die Grenzen des Lebens

a) Baum des Lebens nicht zugänglich: Angesichts des ewigen Kreislaufs aller Dinge und angesichts des Todes ist Ko­he­let skeptisch gegenüber den Versuchen des Menschen, seinem Le­ben »unter der Son­ne« (im Hier und Jetzt) selbst bleiben­den Sinn zu geben.

–> Leben gelingt oft nicht.

–> Krankheit, Tod, Vergänglichkeit

b) Baum der Erkenntnis nicht zugänglich: Angesichts beobachteter Ungerechtig­keit in der Welt und der gleichzeitigen An­nah­me vom allgegenwärtigen Walten des ge­rechten Gottes ist Kohelet skeptisch ge­gen­über den Versuchen des Menschen, das Han­deln Gottes »unter der Sonne« ergrün­den zu wollen.

–> Gottes Handeln bleibt undurchschaubar.

–> Vieles scheint sinnlos.

2. Schlussfolgerung: Wie soll man angesichts dieser Grenzen leben?

„fromm“: Der Prediger fordert den Menschen auf, sich in Selbstbescheidung zu üben und Gott zu fürchten.

„fröhlich“: Der Prediger fordert den Menschen auf, das ihm von Gott geschenkte Leben in seiner Rätselhaftigkeit anzunehmen, es zu genießen und zu gestalten.

„weise“: Der Prediger fordert auf, auch angesichts von Umwägbarkeiten nicht zu zaudern, sondern tatkräftig zu handeln und mit Streueffekten des eigenen Handelns vorausschauend umzugehen.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach