Die Schriftpropheten

Jeremia
Hesekiel
Jesaja

Was ist ein „Prophet“?

Was ist überhaupt ein Prophet? Im allgemeinen Sinne wird Prophetie als Vorhersage zukünftiger Ereignisse verstanden. Diese Vorstellung entspricht aber nur sehr eingeschränkt dem, was die Bibel unter einem Propheten versteht.

Im Griechischen ist prophetes ein „Für-Sprecher“ oder „Vor-Sprecher“, d.h. einer, der für Gott spricht, oder einer, der im Voraus etwas spricht. Im Hebräischen nabi vermutlich ein „Gerufener“ oder ein „Berufener“. Ein Prophet ist ein Mensch, der im Auftrag Gottes und im Namen Gottes redet, um in einer Situation Gottes Willen bekanntzumachen; die Ankündigung zukünftiger Ereignisse kann ein Teil der Botschaft sein; der Schwerpunkt der prophetischen Botschaft liegt aber auf der Gegenwart.

Weitere Begriffe, die in der Bibel für diese Personengruppe gebraucht werden, sind: „Seher“, „Mann Gottes“, „Wächter“, „Bote Jahwes“, „Mann des Geistes“. Damit wird umschrieben, was der Prophet tut oder was ihn auszeichnet.

Anliegen der Propheten war nicht in erster Linie, Neues zu verkünden. Vielmehr waren sie die Wahrer und Hüter des Glaubens Israel. Sie riefen zurück zu dem Gott, der sich Israel einst am Sinai, beim Auszug aus Ägypten und in der Wüste offenbarte, und zu der Lebensordnung, die er seinem Volk im Rahmen des Bundes gab. Wo sie vor dem Gericht warnen, geschieht dies auf der Grundlage der Bundesflüche des Sinaibundes. Auf der gleichen Basis steht die Ankündigung einer neuen Heilszeit. Wo die Propheten ein neues Gotteshandeln ankündigen, wird die Zukunft in den Farben des früheren Handelns Gottes gemalt (nach La Sor/Hubbard/Bush3, S. 356).

Die "Propheten" des Alten Testaments

Das Wort „Prophet“ kann je nach Zusammenhang unterschiedliche Personen bzw. Texte des Alten Testaments mit einbeziehen:

  1. Im weiten Sinne: Personen, die im Auftrag und Namen Gottes geredet haben, z. B. auch Mose (Pentateuch) oder David (Psalmen).
  2. In der Formulierung „Gesetz und Propheten“ bzw. „Mose und die Propheten“. Bei dieser Formulierung bezeichnet das Wort „Propheten“ alle Bücher des Alten Testaments mit Ausnahme der fünf Bücher Mose. Gemeint ist: „Mose und die anderen, die im Namen Gottes geredet haben“.
  3. In der Formulierung „Gesetz, Propheten und Schriften“. Hierbei bezieht sich das Wort „Propheten“ auf die folgenden Bücher: Josua, Richter, Samuel, Könige und auf die eigentlichen Schriftpropheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel usw. bis Maleachi (ohne Danielbuch). In der jüdischen Tradition wird der Kanonteil der Propheten dann noch einmal unterteilt in die „vorderen Propheten“ (Josua bis Könige) und die „hinteren Propheten“ (eigentliche Schriftpropheten).
  4. „Prophet“ für Personen, die das spezifische Amt des Propheten innehatten, d. h. die alttestamentlichen Schriftpropheten und auch die, die in den erzählenden Texten der Bibel genannt werden, wie z. B. Nathan (König David) oder Elia (König Ahab).
  5. Begriff „Schriftpropheten“: Propheten, die in der Bibel mit jeweils einem eigenen Buch vertreten sind.

Die Schriftpropheten werden noch einmal unterteilt in große und kleine Propheten. Die großen Propheten sind: Jesaja, Jeremia, Hesekiel und in christlichen Bibeln Daniel. Die kleinen Propheten sind: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja und Maleachi.

Die großen und die kleinen Propheten sind in sich jeweils ungefähr chronologisch geordnet, wobei die Datierungen teilweise unsicher, teilweise auch umstritten sind.

Das Prophetenamt kam in Israel ungefähr zeitgleich mit dem Königsamt auf. Die ersten Propheten, die im 10. und 9. Jahrhundert in den Texten in den Samuel- und Königebüchern genannt werden, scheinen speziell die Aufgabe gehabt zu haben, die Könige kritisch zu begleiten.

Von dem Aspekt der politischen Verfassung her gedacht, bildet damit das Prophetenamt eine kritische Kontrollinstanz, die das Handeln der Könige im Licht der in Gott gegründeten Moral prüft. Anders als in vergleichbaren Konstellationen in anderen Zeiten der Geschichte haben die Propheten des Alten Testaments aber nie selbst nach der Macht gegriffen.

Die Schriftpropheten im 8. und 7. Jahrhundert hatten ebenfalls die Aufgabe, die Regierenden kritisch zu begleiten, aber sie richten sich genauso auch an das Volk. Schwerpunkt bei diesen Propheten ist die Kritik am Ungehorsam Israels, die Ankündigung des drohenden Untergangs, aber auch die Vorausschau auf kommendes Heil.

Der Wiederaufbau nach dem Exil, das erneute Festigen der eigenen Identität, war ein mühsamer Prozess. Die nachexilischen Schriftpropheten hatten dementsprechend vor allem die Aufgabe, das Volk in seinem Neuanfang zu stärken, zu schützen und anzuleiten.

Prophetie als literarische Gattung

Die Bücher der Schriftpropheten sind durch literarische Merkmale miteinander verbunden:

  • Typische Einleitungsformel in das Buch
  • Typische Inhalte prophetischer Verkündigung: Gericht und Heil für Israel und die Nationen
  • Verwendung von Poesie (Parallelismus, Bildsprache)
  • Typische Formen: „Rechtsstreit“, „Weheruf“, „Verheißung“, „Fremdvölkersprüche“ u.a.
  • Elemente der Gattung „Apokalyptik“
  • Erzählende Textabschnitte

Die Entstehung der Prophetenbücher – vier Phasen

Nach traditioneller/konservativer Ansicht ist die Entstehung der Prophetenbücher in zwei Phasen zu beschreiben:

1. Phase: mündliche Verkündigung durch den Propheten

2. Phase: schriftliche Fixierung und (schrittweise) Zusammenstellung der Prophetenworte zum Prophetenbuch

Entweder durch den Propheten selbst oder durch „Schüler“.

  • Für viele Prophetenworte ist der Sitz im Leben die mündliche Verkündigung. Die Verschriftlichung erfolgte im Anschluss (oder evtl. auch schon zur Vorbereitung). In einigen Fällen wurde Prophetie aber auch direkt in schriftlicher Form verfasst (vgl. Jer 36).
  • Einige Prophetenbücher enthalten Worte, die über einen Zeitraum von Jahrzehnten verkündigt wurden. Hier muss offensichtlich ein Akt der Sammlung stattgefunden haben. Denkbar ist dabei auch, dass ein Prophet seine Worte für die Buchform noch einmal redigiert hat.
  • Auch ist nicht auszuschließen, dass Prophetenworte erst nach dem Tod eines Propheten gesammelt und zur Buchform zusammengestellt wurden.
  • Erzählende Abschnitte aus der Perspektive der 3. Person können vom Propheten selbst stammen oder im Rahmen der Gesamtkomposition von Schülern ergänzt worden sein.

Zu beachten ist jedenfalls, dass der am Buchanfang genannte Prophet nicht unbedingt der „Autor“ im heutigen technischen Sinne ist, aber doch die Autorität, die hinter dem steht, was im Buch verkündet wird. Inhalt und auch Wortlaut der Verkündigung sind nach dem Selbstzeugnis des jeweiligen Buches vom Propheten verantwortet.

Bibelwissenschaftler, die mit literarkritischen Modellen arbeiten, gehen bei den meisten Prophetenbüchern von einer andauernden „Fortschreibung“ des ursprünglichen Textes durch spätere Generationen aus:

3. Phase: Nachträge/Fortschreibung durch spätere Redaktoren

Fortschreibung: Nach dieser Sicht wurden die prophetischen Texte immer wieder bearbeitet mit dem Ziel, die Botschaft für die jeweilige zeitgeschichtliche Situation zu aktualisieren. Die Aktualisierung der Texte erfolgte aus Sicht der Redaktoren ganz im Sinne des ursprünglichen Propheten und damit auch unter seiner Autorität. Faktisch kam allerdings durch die Redaktionen manches neue und fremde Gedankengut in die Texte hinein.

Wie die redaktionellen Prozesse für die einzelnen Prophetenbücher abgelaufen sein könnten, dazu bietet die Forschung für die einzelnen Bücher unterschiedliche und teilweise auch entgegengesetzte Ansätze an.

„Konservative“ Theologen lehnen die Idee eines umfangreichen Redaktionsprozesses ab. Zum einen, weil man sich damit ein Glaubwürdigkeitsproblem einhandelt: Zwar kann grundsätzlich auch ein Redaktionsprozess unter göttlicher Inspiration ablaufen bzw. unabhängig vom Entstehungsprozess ist die Endfassung des biblischen Kanons von der Kirche/Gemeinde als autoritativ anerkannt, jedoch ruht gerade die Autorität der Prophetenbücher in nicht geringen Maße in der Autorität der von Gott berufenen Individuen.Nicht umsonst werden besipielsweise die Berufungsgeschichten der Propheten erzählt.

Zum zweiten ergibt sich auch aus der näheren historischen Untersuchung (in Verbindung mit einer theologisch konservativen Rekonstruktion der Geschichte Israels) keine Notwendigkeit, dem Selbstzeugnis der Prophetenbücher in Bezug auf ihre Autorschaft zu widersprechen. Umstritten bleibt allerdings das Jesajabuch Kap. 40-66.

 

Vertreter von kanonischen Ansätzen rechnen mit einer zusätzlichen Phase:

4. Phase: Endredaktion durch kanonischen Endbearbeiter

Ein Buch, das im Kanon steht, hat nicht nur historische Bedeutung, sondern es soll auch für zukünftige Generationen von Gläubigen etwas zu sagen haben. Nach Brevard Childs erfolgte jeweils im Zusammenhang mit der Aufnahme eines Buches in den Kanon eine Endredaktion im Hinblick auf dieses Ziel. Dabei wurde die prophetische Botschaft teilweise aufgeweitet: Sehr spezifische Aussagen, die nur für eine bestimmte Zeit gelten, wurden allgemeiner gefasst, um auch für die Zukunft relevant zu sein; Datierungen wurden teilweise entfernt; kanonische Phänomene wie Stichwortverbindungen zwischen den Prophetenbüchern wurden hinzugefügt.

Die Annahme einer kanonischen Endredaktion führt zu einer mehr synthetischen Sicht der Buchentstehung: Die vorliegende Buchform ist dann nicht das Ergebnis diverser redaktioneller Eingriffe, sondern das Ergebnis bewusster literarisch-theologischer Gestaltung (durch den inspirierten Canonicler). – Auch hier gilt aber die Frage, wie umfangreich eine solche abschließende Gesamtredaktion sein darf, ohne die Autorisierung durch den am Buchanfang benannten Propheten zu verlieren.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach