Der Prophet Jeremia

Thema: Die Sünde und der Untergang Judas
Jeremia

Bibelkunde-Skript

Propheten Einführung

Bibelkunde-Skript

Platz im Kanon

Jeremia gehört zu den drei bzw. vier „großen Propheten“ Jesaja, Jeremia, Hesekiel und ggf. Daniel. Die christliche Tradition und ein Großteil der jüdischen Tradition stellen das Buch hinter Jesaja. Der Talmud und mit ihm ca. 1/3 der alten jüdischen Bibelmanuskripte haben allerdings die Anordnung Jeremia–Hesekiel–Jesaja. Bei dieser Anordnung wird Jeremia zu einer Einführung in die Propheten und zu einem Modell dessen, was Propheten ausmacht.

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Der Prophet

  • Jeremia, Sohn des Priesters Hilkija, aus Anatot (nördlich von Jerusalem). Um ca. 650 v. Chr. geboren; Wirkungszeit ca. 627–586 v. Chr.
  • Jeremia wird als junger Mann berufen; er fühlt sich dieser Berufung zunächst nicht gewachsen und ringt auch später immer wieder damit.
  • Jeremia erleidet viele Anfechtungen. A. Weiser (ATD, 1981, S. 6): „Jeremia ist … das klassische Beispiel dafür, wie Gott den Menschen, den er zu seinem Werkzeug bestimmt, zunächst in schwere Kämpfe mit sich selber hineinführt, um ihn durch die Selbstüberwindung im Gehorsam zu bereiten zum Kampf, für den er ihn braucht.“

Charakterzüge Jeremias:

  • Tiefes Gottvertrauen; gleichzeitig große Ehrlichkeit und Offenheit, auch im Äußern von Kritik
  • Mut, trotz Anfechtungen für Gottes Sache einzutreten
  • Brennen für Gerechtigkeit und Bundestreue (bis hin zu Rachegedanken gegenüber seinen Widersachern)
  • Persönliches Mit-Leiden mit seinem Volk
  • Zuversicht trotz des Gerichts, als Teil seiner Botschaft

Die Entstehung des Jeremiabuches: Unterschiedliche historische Horizonte

  1. Die mündliche Verkündigung Jeremias, vor allem Androhung von Gericht und Aufruf zur Buße.
  2. Verschiedene schriftliche Zusammenstellungen: Rolle des Baruch, die von König Jojakim verbrannt wird (Jeremia 36); zweite Rolle des Baruch (Jer 36,32); Brief an die Ältesten im Exil (Jer 29,1); ein nicht näher definiertes Schriftstück (Jer 25,13); das sogenannte „Trostbuch“ des Jeremia (Jer 30,2); ein Prophetenspruch gegen Babylon, der von Boten des Jeremia vor Ort verlesen werden sollte (Jer 51,60); Klagelied über den Tod Josias (2Ch 35,25).
  3. Das kanonische Jeremiabuch als Sammlung von Texten von und über Jeremia, auch mit dem Ziel der historischen Dokumentation. Kap. 52 als erzählender Abschluss hinzugefügt.
  4. Unterschiedliche Fassungen des Buches im MT (auch: 2Qjer, 4Qjera, 4Qjerc) und in der LXX (auch: 4Qjerb). Text des LXX um etwa 1/8 kürzer; Fremdvölkersprüche (Kap. 46–51 MT) hinter Kap. 25 gestellt; weitere Umstellungen von Kapiteln. Ordnung der Fremdvölkersprüche:
  • LXX: Elam, Ägypten, Babylon, Philister, Edom, Ammon, Kedar, Damaskus, Moab
  • MT: Ägypten, Philister, Moab, Ammon, Edom, Damaskus, Kedar, Elam, Babylon

Übersetzung der LXX ungleichmäßig in Kap. 1–28 und Kap. 29–52.

Die Entscheidung, welcher der beiden Texte ursprünglicher ist, kann heute kaum noch getroffen werden. Eine Studie in Jer 4–6 zeigt den längeren, hebräischen Text als ursprünglich und den kürzeren LXX-Text als sekundär gekürzten Text.

Durch die unterschiedlichen historischen „Horizonte“, von denen die ersten drei auch bei anderen Prophetenbüchern erkennbar sind, wird eine Eigenart der Prophetenbücher als Sammlung von Prophetenworten deutlich. Gewisse redaktionelle Prozesse nach dem Tod des Propheten sind dabei nicht ausgeschlossen. Gerade die großen Prophetenbücher sind literarisch weniger in sich geschlossen als die erzählenden Werke und die Bücher der Ketuvim.

Die Geschichte der neuzeitlichen Forschung zur Entstehung des Buches Jeremia beginnt mit dem Kommentar von Duhm 1901. Kurze Forschungsüberblicke bieten z.B. Backhaus/Meyer, Childs sowie Dillard/Longman (in Zenger u. a., Einleitung 92016, 571–576; Childs, Introduction, 342–345; Dillard/Longman, Introduction, 326–328). Bei der Darstellung wird deutlich, dass v. a. mit literarischen und sprachlichen Bezügen auf andere biblische Schriften, den verschiedenen Textvarianten, den sehr verschiedenen Teiltexten (u. a. bzgl. Gattungen, Prosa und Poesie) sowie Bezügen auf den historischen Kontext diskutiert wird. Backhaus/Meyer (in Zenger u. a., Einleitung 92016, 570 571) argumentieren für ein Fortschreibungsmodell des Buches Jeremia anhand von Jer 36. Dillard/Longman (Introduction, 326 327) teilen die Positionen der Forschung grob in zwei Gruppen ein: diejenigen, die enge Bezüge zwischen dem Propheten Jeremia und dem Buch Jeremia annehmen, oder Modelle, die wenig(er) Bezüge dazwischen sehen und mehr von Quellen, Redaktionen u. Ä. ausgehen. Craigie/Kelley/Drinkard (Jeremiah 1–25, WBC, xl) argumentieren für einen Beginn der Entstehung zu Lebzeiten des Propheten (spätestens 605 v. Chr.) zunächst in Juda und dann in Ägypten sowie eine anschließende Fortschreibung in Ägypten, Juda und Babylon. Fischer (Jeremia 1–25, HThKAT, 93.120–122) spricht sich aufgrund der Bezüge zu anderen Büchern für eine Abfassung in Palästina vermutlich im 4. Jh. v. Chr. in Jerusalem als einheitliches Werk von einem Künstler und Theologen, beim Adressaten unterscheidet er zwischen Ideal-Leser (hat 2/3 des AT bis in den Wortlaut hinein präsent), realem Leser und „gegen wen“ (falsche Propheten, politische Verantwortliche, Tempelpersonal). (Übersicht erstellt von Jens Winarske.)

Der Inhalt der Prophetie Jeremias – nach historischen Abschnitten

  1. Unter König Josia (639–609): Im 13. Jahr Josias wird Jeremia zum Propheten berufen. Die Prophetenworte aus der Zeit Josias handeln vor allem von der drohenden Zerstörung Jerusalems durch den Feind im Norden (Babylon) wegen des fortlaufenden Götzendienstes.
  2. Unter König Joahas (609): Joahas regiert nur drei Monate. Anspielung in Jer 22,10.
  3. Unter König Jojakim (608–598): Jeremia übt scharfe Kritik an Jojakim, der sich wegen der Gegenwart Jhwhs im Tempel allzu sicher wähnt, der den Prunk liebt, der sich auf Ägypten als Bündnispartner verlässt. Die Haltung Jojakims scheint zunächst aufzugehen, doch schließlich greifen die Babylonier an; Jojakim stirbt während der Belagerung der Stadt Jerusalem.
  4. Unter König Jojachin (598/597) – andere Namensformen Jechonja, Konjahu: Regiert für drei Monate im besetzen Jerusalem, ergibt sich den Babyloniern und wird mit seiner Familie und vielen anderen deportiert. Die Ereignisse dieser Jahre werden im Jeremiabuch an einigen Stellen reflektiert.
  5. Unter König Zedekia (597–586): In dieser Zeit kommt es zum Konflikt zwischen Jeremia und Hananja, einem Hofpropheten Zedekias:
  • Hananja kündigt eine zwei Jahre währende Exilszeit an, Jeremia eine 70 Jahre währende.
  • Hananja rät Zedekia, sich einer antibabylonischen Koalition unter der Führung Ägyptens anzuschließen. Jeremia rät davon ab, aber ohne Erfolg. Die Entscheidung Zedekias führt zur völligen Zerstörung Jerusalems.
  1. Unter der Statthalterschaft Gedaljas (babylonischer Statthalter): Jüdische Nationalisten töten Gedalja. Aus Angst vor der babylonischen Rache fliehen viele Juden nach Ägypten. Weil sie nicht auf Gott vertraut und auf die Worte des Propheten gehört hatten, droht Jeremia ihnen auch dort noch Unheil an (Kap. 40,13–41,3; 44,1–30).

Literarischer Aufbau

Nach verwendeten Formen:

Jer 1–20             als geschlossener Block, mit einer Inclusio von Kap. 1 zu Kap. 20

Jer 21–45           einzelne Episoden, Umfang ca. 1 Kapitel, meistens datiert

Jer 46–51           Zusammenstellung von Fremdvölkersprüchen aus verschiedenen Zeiten

Jer 52                  historischer Anhang

Nach Chronologie (grobe Einteilung):

Jer 1–20             Von der Berufung Jeremias bis ins vierte Jahr Jojakims

Jer 21–36           Ereignisse zur Zeit von Jojachin und Zedekia

Jer 37–45           Ereignisse direkt vor und nach dem Fall Jerusalems

Theologische Leitgedanken

Konrad Schmid skizziert die Theologie des Jeremiabuchs mit vier Stichpunkten: Klage und Anklage, Umkehr, das Leiden des Propheten und der neue Bund.[1] 

  1. Einerseits werden Jerusalem und das Volk angeklagt, andererseits wird geklagt über das Unheil, welches Jerusalem und Juda widerfährt.
  2. Jeremia ruft zwar zur Umkehr auf, aber wie Schmid formuliert: „In seiner jetzigen Gestalt dokumentiert das Jeremiabuch die verpasste Umkehr Judas und Jerusalems.“[2] Denn durch die Darstellung des Gerichts wird die Wirkungslosigkeit von Jeremias Umkehrruf deutlich.
  3. Besonders gegenüber den anderen Prophetenbüchern ist wie das Leiden des Propheten zur Sprache gebracht wird, sowohl in Worten/Reden als auch in Erzählungen. Dabei gibt Jeremia Zeugnis durch sein Vertrauen trotz Anfechtung.
  4. In Jer 31,31-34 wird ein neuer Bund verheißen. Das Volk hat den Bund gebrochen. Seine sündige Natur macht, dass es nicht anders kann. Erlösung kann nur von Gott selbst kommen, der einen neuen Bund stiften wird (Jer 31; spez. ab V. 31). Dies wird besonders aus christlicher Sicht als sehr bedeutungsvoll eingestuft.

Diese theologischen Leitgedanken sind eingebettet in eine bestimmte Geschichtstheologie von der Souveränität JHWHs in der Geschichte: JHWH bestimmt den Lauf der Geschichte, er führt Israel, aber auch die Nationen, so, wie es ihm gefällt. Zur Souveränität Gottes gehört auch, dass er einmal getroffene Entscheidungen revidiert, als Reaktion darauf, wie sich die Menschen ihm gegenüber verhalten (Jer 18,7–10).

[1]      Siehe hierzu Gertz (Hg.), Grundinformation AT 52016, 359-360. Abschnitt erstellt mit Unterstützung durch Jens Winarske.

[2]      Gertz, 359.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach