Der Prophet Amos

Thema: Soziale Ungerechtigkeit im Nordreich Israel

Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder;
denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser
und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

Amos 5,23f

Der Prophet

Nach 1,1 stammte Amos aus dem Ort Tekoa, etwa 10 km südlich von Bethlehem (Südreich Juda). Er war als Prophet in das Nordreich Israel gesandt. Über ihn persönlich erfahren wir am meisten im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Amazja, dem Priester zu Bethel. Amazja verbietet Amos zu predigen und weist ihn gewissermaßen aus (7,12f). Dabei geht er von oben herab mit Amos so um, als ob dieser zur Gilde der Berufspropheten gehören würde. Amos antwortet ihm (7,14f):

Ich bin kein Prophet und bin kein Prophetensohn, sondern ein Viehhirte bin ich und ein Maulbeerfeigenzüchter. Aber der HERR holte mich hinter dem Kleinvieh weg, und der HERR sprach zu mir: Geh hin, prophezeie meinem Volk Israel!

Ursprünglich war Amos also Hirte oder Herdenbesitzer. Seine Aussage „ich bin kein Prophet“ bezieht sich wahrscheinlich darauf, dass er nicht ein „Berufsprophet“ ist, sondern wirklich von Jhwh selbst berufen ist. Deswegen kann er die Anweisung von Amazja nicht akzeptieren.

Die Zeit

Die Datierungsangabe in 1,1 (Regierungszeiten Jerobeam II. von Israel und Usija von Juda) legt die Wirkungszeit von Amos auf 767–753 v. Chr. fest. Die zusätzliche Angabe „zwei Jahre vor dem Erdbeben“ lässt sich heute nicht mehr auswerten. Sie zeigt aber, (1) dass Amos wahrscheinlich in einem sehr begrenzten Zeitraum gewirkt hat und (2) dass das Buch in seiner Endgestalt mindestens zwei Jahre später zu datieren ist als die mündliche Verkündigung.

Die Datierungsangabe von 1,1 wird untermauert durch den Bericht von der Begegnung zwischen Amazja und Amos. Amazja, Priester von Bethel, beschwert sich beim König Jerobeam über Amos’ Auftreten (7,10f).

Zur Zeit des Amos war die assyrische Großmacht mit inneren Problemen beschäftigt. Dieses Machtvakuum konnten Jerobeam II. von Israel und Usija von Juda nutzen, um die Grenzen des Reiches auszudehnen, das schließlich beinahe wieder die Größe des einstigen Reiches unter David und Salomo erreichte. Die Erfolge schürten den Nationalstolz. Man wähnte sich in der Gunst Jahwes. Die Entwicklung des internationalen Handels führte bei Kaufleuten zu Wohlstand. Mit dem Reichtum wuchsen aber auch Ungerechtigkeit und Habgier. Die Armen wurden übersehen und ausgebeutet. Die Religion erstarrte zu Formalien. Diese Situation bildet den Hintergrund für Amos’ Prophetie (siehe auch die Beschreibung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds bei Hosea).

Es spricht nichts dagegen, dass Amos sein Buch selbst verfasst hat.[1]

[1]     Anders Zenger (in Zenger u. a., Einleitung 92016, 655–657), der drei Teilkompositionen (Am 1–2.3–6.7–9) annimmt. Von den Teilkompositionen Am 1–2.7–9 könne der Grundbestand literarisch vor 722 fixiert worden sein, bei anderen Abschnitten des Buches argumentiert Zenger für eine exilische oder auch nachexilische Entstehungszeit. Dillard / Longman (Introduction, 423–428) stellen v. a. die historisch-kritischen Infragestellungen der Angaben im Buch zu Amos vor und sprechen sich größtenteils gegen diese Infragestellungen aus. Stuart (Hosea–Jonah WBC, 283.285) spricht sich gegen sichere relative Datierungen von Textteilen und für ein Wirken von Amos vor 750 v. Chr. aus. Childs (Introduction, 399.408) geht von einer langen Entstehungsgeschichte und mehreren Textschichten aus, in denen verschiedene theologische Interessen wirkten.

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Inhalt und literarische Struktur

In der Forschung wird das Buch recht unterschiedlich gegliedert. Während die einzelnen Sinnabschnitte meist klar voneinander abgegrenzt werden können, bestehen bezüglich der Gesamtanlage unterschiedliche Auffassungen. Ein Gliederungsvorschlag:

Amos

Bibelkunde-Skript

Propheten Einführung

Bibelkunde-Skript

Amos

Aspekte der Botschaft des Buches

1. Soziale Gerechtigkeit

Einen besonderen Akzent in der Botschaft des Amos bildet der Aufruf zur sozialen Gerechtigkeit. So wird zum einen das Buch heute besonders gerne zitiert, wenn ungerechte Wirtschaftsstrukturen usw. angeprangert werden sollen. Andererseits sah man das Buch auch skeptisch in dem Sinne, dass hier ein „soziales Evangelium“ gelehrt werde anstelle eines Evangeliums der Gnade. Doch diese Reduzierung wird dem Buch nicht gerecht. Im Hintergrund steht vielmehr der Bund Gottes mit Israel und die Bundestreue, die Gott von Israel einfordert.

2. Erwählung und Verantwortung

Die Befreiung Israels aus Ägypten, die Erwählung Israels, der Bundesschluss am Sinai bringen auch eine besondere Verantwortung sowohl Gottes als auch des Volkes mit sich. Mit einem Hinweis auf diese Verantwortung beginnt Amos den zweiten Hauptteil seines Buches (3,1f ELB):

Hört dieses Wort, das der HERR über euch redet, ihr Söhne Israel, über das ganze Geschlecht, das ich aus dem Land Ägypten heraufgeführt habe! Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich an euch alle eure Sünden heimsuchen.

Amos und der israelitische Tempelkult

Amos äußert sich an einigen Stellen sehr kritisch über den Tempelkult. Dies hat man in der Bibelwissenschaft in der Vergangenheit immer wieder zu einem grundsätzlichen Konflikt zwischen Propheten und Priestern ausgeweitet.

  • B. G. Fohrer: „kultische Daseinshaltung“ gegen „prophetische Daseinshaltung“
  • Wellhausen: Der Kult konnte erst nach dem Ende der Prophetie aufblühen – daher Spätdatierung von „P“ in die exilisch-nachexilische Zeit

Allerdings kritisiert Amos nicht den Tempelkult an sich, sondern lediglich die dort aufgetretenen Missstände (z. B. Am 2,7f) bzw. den eklatanten Widerspruch zwischen „Sonntag“ und „Alltag“ (z. B. 5,21–24).

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach