Das 5. Buch Mose / Deuteronomium

Thema: “Das Testament des Mose”

Ort und Bedeutung des Buches im Kanon

Das Deuteronomium ist das Testament des Mose. Nach vierzig Jahren Wüstenwanderung steht das Volk Israel an der Schwelle zum Einzug in das verheißene Land, bereit, den Jordan zu überqueren. Mose selbst jedoch darf das Land nicht betreten, wegen einer Sünde, die er begangen hat (Numeri 20). Und so erläutert er vor seinem Tod der nachgewachsenen Generation ein letztes Mal die Bedeutung des Bundes, den Gott mit der Elterngeneration am Berg Sinai geschlossen hatte. In aller Dringlichkeit ermutigt und ermahnt er sie, Gott zu lieben und ihm treu zu sein, und warnt vor den schrecklichen Folgen, die sich im Fall eines Bundesbruches ergeben werden.

Im Kanon der hebräischen Bibel bildet das Deuteronomium den Abschluss des Pentateuchs. Der Name „Deuteronomium“ bedeutet „zweites Gesetz“. Er ist insofern angemessen, als Mose in seiner abschließenden Rede einiges von dem wiederholt (sowohl an Erzählungen als auch an Gesetzestexten), was in den Büchern Exodus, Levitikus und Numeri enthalten ist. Der hebräische Name des Buches lautet Devarim „Worte“, entnommen vom Buchanfang Dtn 1,1: „Dies sind die Worte …“

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Ähnlichkeit zu hethitischen Staatsverträgen des 14. und 13. Jh. v. Chr.

Von seiner Form her ähnelt das Deuteronomium über weite Strecken dem Muster des altvorderorientalischen Vasallenvertrages, mit den folgenden Elementen:

  1. Die Präambel, in der der König vorgestellt wird: Dtn 1,1–5; 4,1
  2. Der historische Prolog, in dem das bisherige Verhältnis zwischen den beiden Parteien dargestellt wird: Dtn 1–3, oder auch die historischen Illustrationen in Dtn 5–11
  3. Die Bundesgesetze, (a) generelle Prinzipien: Dtn 4–11, (b) detaillierte Gesetze: Dtn 12–26
  4. Regelungen zur Deponierung des Gesetzes und zu öffentlichen Lesungen: Dtn 31,9–13.24–26
  5. Zeugen (Götter, die die Vertragseinhaltung garantieren; in der Bibel stattdessen „Himmel und Erde“): Dtn 4,26; 30,19; 31,28.
  6. Segen und Fluch: Dtn 27–30

Das Deuteronomium enthält alle Elemente, die für Staatsverträge der Zeit typisch waren (Hethitische Staatsverträge aus dem 14. und 13. Jhd. v.Chr.). Das Buch ist selbst allerdings nicht ein Vertrag in reiner Form, sondern vielmehr ein Vertrag, eingebettet in eine Abschiedsrede des Mose, die wiederum narrativ eingebettet ist in die größere Erzählung des gesamten Pentateuchs.

Deuteronomium

Bibelkunde-Skript

Literarischer Aufbau des Buches

Der literarische Aufbau des Buches besteht aus mehreren ineinander geschachtelten Rahmentexten, die um die eigentlichen Bundesbestimmungen herum angelegt sind:

Die folgende Gliederung basiert auf: Duane L. Christensen, Deuteronomy 1–11, Word Biblical Commentary 6a (Dallas, Texas: Word, 1991).

  • Der äußere historische Rahmen: Kap. 1–3 und 31–34. Beide Abschnitte bilden zusammengenommen einen durchgehenden Text. Dtn 3 endet mit der Ankündigung von Moses Tod und der Einsetzung Josuas zum Nachfolger, Dtn 31 beginnt mit demselben Thema.
  • Der innere Rahmen betreffend den Bundesschluss: Kap. 4–11 und 27–30. Wieder bilden die beiden Abschnitte zusammengenommen einen durchgehenden Text. Dtn 11 endet mit der Ankündigung einer Bundeszeremonie, Dtn 27 beginnt mit demselben Thema.
  • Der innere Rahmen kann noch einmal in zwei Ringe zerlegt werden: appellierende einleitende bzw. ausleitende Worte des Mose (Kap 4 und 29–30) und die im eigentlichen Bundestext enthaltenen einleitenden und ausleitenden Warnungen (Kap 5–11 und 27–28).
  • Den Kern der Struktur bilden Kap. 12–26, die eigentlichen Bundesbestimmungen.

1. Historischer Rückblick: Die Reise vom Sinai zu den Ebenen Moabs (Dtn 1–3)

Das Buch beginnt nach einer kurzen Einleitung mit einem historischen Rückblick des Mose, der die Ereignisse vom Verlassen des Berges Sinai bis zur Ankunft in den Ebenen Moabs zusammenfasst. Von Inhalt und Abfolge der Ereignisse entspricht der Text einer Kurzfassung von Numeri 10–36.

Die Funktion des Abschnittes ist, die Verbindung herzustellen zwischen dem Bund am Sinai, der mit der Elterngeneration 38 Jahre zuvor geschlossen worden war, und dem Bund, der nun mit der Nachfolgegeneration in den Ebenen Moabs geschlossen werden soll, direkt vor Beginn der Einnahme des verheißenen Landes.

Mose erinnert seine Zuhörer auch daran, dass es ihm selbst von Gott nicht erlaubt ist, das verheißene Land zu betreten. Deshalb ist dies seine letzte Gelegenheit, seine persönlichen Ermahnungen an das Volk zu richten.

–> Schwellensituation, literarisch genutzt, um die Wichtigkeit des Nachfolgenden zu unterstreichen.

2. Der Bundesschluss, Teil I: Die Natur des Bundes (Dtn 4–11)

Bevor Mose sterben muss, schwört er die junge Generation Israels auf den Bund Gottes ein. Er ermahnt sie, dem Bund nichts hinzuzufügen und nichts wegzunehmen. Er wirbt für die große Weisheit, die im Gesetz niedergelegt ist. Er warnt das Volk, den wahren Gott zu verlassen und Götzen nachzufolgen. Er kündigt an, dass Gott den Bruch des Bundes mit Gericht bestrafen wird. Er weist aber auch darauf hin, dass nach dem Gericht Umkehr und Neuanfang möglich sein werden (Kap. 4).

4,44–49 kündigen den eigentlichen Beginn des Bundes an. Einige Ausleger lassen daher den zweiten Hauptteil des Buches erst mit Kapitel 5 beginnen. Andererseits kann Kap. 4 aber auch nicht zum historischen Rückblick gerechnet werden – inhaltlich ähnelt es eher den folgenden Kapiteln. Am besten ist es deshalb wohl als eine thematische Hinführung zu verstehen, bei der Mose mit eigenen Worten in die Thematik einführt, die anschließend ab Kap. 5 im eigentlichen Bundestext entfaltet wird. Diese Ansicht wird dadurch unterstützt, dass am Ende des Bundestextes ein entsprechendes Phänomen auftritt. Oben ist dies als Ring B-B‘ “einleitender Appell” bzw. “abschließender Appell” des Mose berücksichtigt.

Kap. 5, die Wiederholung der Zehn Gebote: Mose macht deutlich, dass der am Berg Sinai geschlossene Bund nicht nur für die Vätergeneration galt, sondern weiterhin gültig ist. Bei dem in den Ebenen von Moab geschlossenen Bund handelt es sich daher auch nicht um einen unabhängigen Bundesschluss, sondern um eine Bestätigung des sinaitischen Bundes. Mose erzählt, wie die Elterngeneration Mose zum Mittler zwischen Gott und Israel bestimmt hat. Er ermahnt die junge Generation, dass dieser Bund für sie genauso Geltung hat wie für die Elterngeneration (Kap. 5).

Der gemeinsame Tenor der nachfolgenden Kapitel: das Volk ist im Begriff, das Land einzunehmen. (siehe z.B. 6,1.3; 7,1; 8,1; 9,1; 11,31). Es gilt, auch beim Wohnen im Land in künftigen Generationen dem Bund Gottes treu zu bleiben.

Wenn die Israeliten das gute Land einnehmen, sollen sie nicht über all seinem Reichtum Gott vergessen, sondern sich selbst und ihren Kinder in Erinnerung rufen, dass Gott es war, der sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit und in das verheißene Land geführt hat.

Mit den bisherigen Einwohnern Kanaans sollen die Israeliten keinerlei Verbindungen eingehen, damit sie nicht durch deren Götzendienst verführt werden. Das Volk soll die Erfolge bei der Einnahme des Landes nicht ihrer besonderen Frömmigkeit zuschreiben. Die Vertreibung der anderen Völker geschieht nicht, weil Israel besonders gerecht ist, sondern weil die anderen Völker besonders gottlos sind. Anhand der Episode vom goldenen Kalb erinnert Mose die Israeliten daran, dass auch sie leicht in der Gefahr stehen, von Gott abzufallen.

Mose legt dem Volk Segen und Fluch Segen, wenn das Volk Gott gehorsam ist, und Fluch, wenn es Gott ungehorsam ist. Moses weist das Volk an, direkt vor der Einnahme des Landes eine Zeremonie durchzuführen, bei der der Segen in Richtung des Berges Garizim und der Fluch in Richtung des Berges Ebal ausgesprochen werden sollen (Kap. 10,12–11,32).

ahavá

Liebe

Das Wort wird im Deuteromium häufig verwendet, um die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk zu beschreiben.

schemá jisraél

Höre, Israel!

Beginn von Dtn 6,4, einem der wichtigsten Gebete im Judentum.

3. Die Bundesgesetze (Dtn 12–26)

Der Mittelteil des Buches enthält konkrete Gesetzgebungen aus dem politischen und gesellschaftlichen Bereich. Einige der Texte wiederholen Gesetze, die auch in den Büchern Exodus, Levitikus und Numeri zu finden sind. Konkrete Einzelfallbestimmungen mit zugehörigem Strafmaß finden sich aber kaum. Vielmehr werden die übergreifenden ethischen Prinzipien entfaltet und illustriert. Der Text ist ebenso Predigt wie Gesetz.

Die übergreifende Perspektive ist das künftige Leben im verheißenen Land: Die Sammlung beginnt mit ausführlichen Anweisungen betreffend einer zentralen Kultstätte im Land (Kap. 12). Den Abschluss der Sammlung bildet einen Gesetz zur Abgabe des Zehnten von den Erträgen des Landes (Kap. 26). Auch einige Gesetze innerhalb der Sammlung stehen speziell auf dem Hintergrund des zukünftigen Lebens im Land: z.B. die Königsgesetze, die Kriegsgesetze, die Freistädte für Totschläger u.a.

Einige Bibelwissenschaftler vertreten die Ansicht, dass die Sammlung der Gebote in Dtn 12–26 der Reihe der Zehn Gebote folgt. In einigen Bereichen ist das sehr eindeutig, in anderen weniger klar zu erkennen.

  • 1-3. Gebot (Respekt vor Gott): Der erste Abschnitt, 12,1–14,21, beinhaltet Anweisungen zur richtigen Verehrung Gottes und dem Verbot der Götzenverehrung.
  • 4. Gebot (Sabbat halten): 14,22–16,17 behandelt besondere Festtage und heilige Zeiten.
  • 5. Gebot (Eltern ehren): 16,18–18,22 behandelt Autorität: Richter, König, Priester und Leviten, Propheten
  • 6. Gebot (Mord, Totschlag): 19,1-22,12 behandelt Freistädte für Totschläger; Kriegsgesetze; Bestattung von Hingerichteten u.a.
  • 7. Gebot (Ehebruch): 22,13-23,19 behandelt Konflikte rund um die Ehe; Beischlaf mit einer verlobten Frau; Beischlaf mit einer Unverheirateten; kultische und sexuelle Unreiheiten
  • 8. Gebot (Diebstahl): 23,20-24,7 Zinsverbot; finanzielle Selbstverpflichtungen bei Gelübden einhalten; Erlaubnis von Mundraub; Ehescheidung (erster Mann kann Frau nicht zurückfordern); lebensnotwendige Gegenstände dürfen nicht gepfändet werden; Verbot von Menschenraub
  • 9+10. Gebot (Respekt vor dem Nachbarn) 24,8-25,16 Gebote zu den Themen Barmherzigkeit, Gerechtigkeit

4. Der Bundesschluss, Teil II: Segen und Fluch (Dtn 27–30)

In Kap. 27–28 wird die Zeremonie beim Bundesschluss beschrieben, ein typischer Vorgang bei altorientalischen Bundesschlüssen. Teile dieses Vorganges werden in Kap. 27 beschrieben. Der eigentliche Inhalt der Proklamation, der Segen und der Fluch, erscheint in Kap. 28.

Dass dem Fluch wesentlich mehr Raum gegeben ist als dem Segen, ist im altvorderorientalischen Kontext üblich.

Der Segen sollte nicht einfach als Belohnung für gute Taten verstanden werden – im Text steht vielmehr die Beziehung zu Gott an sich im Vordergrund. Gott ist die Quelle des Segens, Abwendung von ihm resultiert notwendigerweise im Verlust des Segens.

Der Vers 28,69 scheint den eigentlichen Text des Bundes abzuschließen. Inhaltlich schließen sich jedoch die Kapitel 29 und 30 eng an. Sie können als ein abschließender, ermahnender Kommentar des Mose gesehen werden und stehen damit den einleitenden Ermahnungen in Kap. 4 vor dem Beginn des eigentlichen Bundestextes in Kap. 5 symmetrisch gegenüber: So rahmen ermahnende Worte des Mose den eigentlichen Vertragstext auf beiden Seiten. Beide Texte stehen auch inhaltlich darin in Zusammenhang, dass Mose sehr stark vor dem Eintreffen des Fluches warnt, gleichzeitig aber auch ankündigt, dass es nach dem Eintreffen des Fluches die Möglichkeit zu Rückkehr und zu Neuanfang gibt (4,29–31, 30,1–10). Auch der Aufruf „Ich rufe heute Himmel und Erde als Zeugen gegen euch an“ ist diesen beiden Abschnitten gemein (4,26; 30,19).

Fazit: Noch einmal ermahnt also Mose das Volk eindringlich, indem er ihnen Segen und Fluch, Leben und Tod vorlegt und das Volk auffordert, den Segen und das Leben zu wählen, indem es Gott liebt und seinem Bund gehorsam ist.

5. Historischer Ausblick: Die letzten Taten des Mose und sein Tod (Dtn 31–34)

Der letzte Hauptteil knüpft da an, wo der erste aufgehört hat, nämlich beim nahenden Tod des Mose. Die Thematik bildet den Spannungsbogen für das gesamte Buch, aber auch für den letzten Hauptteil: Wenn der Abschied naht, muss man sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. So bildet das gesamte Buch, besonders aber der Schlussabschnitt, den letzten Willen und das Testament des Mose.

Mose schreibt das Gesetz auf und übergibt es den Priestern und den Ältesten von Israel. Er gibt den Auftrag, dass es alle sieben Jahre beim Laubhüttenfest vor ganz Israel vorgelesen werden soll.

Gott ruft Mose noch ein letztes Mal zu sich ins Zelt der Begegnung, zusammen mit Josua. Dort kündigt er ihm an, dass das Volk Israel in der Zukunft den Bund brechen wird. Mose soll deshalb noch ein Lied dichten und es dem Volk beibringen, als eine ständig gegenwärtige Ermahnung (Kap. 31).

Der Inhalt des Liedes selbst wird im Anschluss wiedergegeben. Es handelt von Gottes Macht und Treue, der sein Volk erwählt und gesegnet hat, vom Abfall des Volkes, das Gott mit seinem Götzendienst kränkt, vom Gericht, das Gott über sein Volk ausübt, indem er eine feindliche Nation über es herrschen lässt, und schließlich von der letztendlichen Errettung des Volkes vor seinen Gegnern (Kap. 32).

Nun beauftragt Gott den Mose, den Berg Nebo zu besteigen, damit er von dort aus das verheißene Land sehen darf, bevor er stirbt. Bevor Mose dies tut, spricht er noch seinen Segen über die zwölf Stämme Israels aus. Dann besteigt er den Berg, und Gott lässt ihn in einer Vision das gesamte Land Kanaan sehen, das er Abraham, Isaak und Jakob zugeschworen hat. Anschließend stirbt Mose, im Alter von 120 Jahren; Gott selbst begräbt ihn. Josua wird sein Nachfolger (Kap. 33–34).

Der Buchschluss

Der Buchschluss in 34,10–12 betont die übergeordnete Autorität des Mose. Der Text kann als ein kanonisches Siegel (Fachbegriff: „kanonisches Abschlussphänomen“) verstanden werden, mit dem die übergeordnete Autorität des Deuteronomiums und des Pentateuchs insgesamt unterstrichen wird: Kein anderer kann mit derselben Autorität Worte Gottes verkünden wie Mose es getan hat. Dementsprechend hat innerhalb der hebräischen Bibel der Pentateuch, die Tora, die höchste Autorität. Alle anderen Bibelbücher knüpfen daran, beziehen sich darauf zurück oder sind auf andere Weise auf dem Hintergrund des Pentateuchs zu verstehen (siehe z.B. Josua 1,7).

Die Aussage, es werde keinen Propheten wie Mose mehr geben, hat allerdings ein Gegenwicht in Dtn 18,15, wo Mose ankündigt: „Einen Propheten wie mich wird dir der HERR, dein Gott, aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören.“

Das Neue Testament bezieht diese Aussage auf Jesus von Nazareth, der der „neue Mose“ ist, der neue Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Auch im jüdischen Bereich wird Dtn 18,15 teilweise messianisch verstanden, jedoch nicht auf Jesus von Nazareth bezogen.

bible-zoom.de ist die Webseite von Julius Steinberg, Professor für Altes Testament an der Theologischen Hochschule Ewersbach