Die Reihe der national-geschichtlichen Bücher
Die "national-historische Reihe"
Hinweis: Die Bücher Esra und Nehemia der christlichen Bibel bilden in der jüdischen Tradition ein zusammengehöriges Buch.
In der Kanonordnung nach dem Talmud stehen die vier Bücher Klagelieder, Daniel, Esther und Esra-Nehemia zusammen und bilden eine „national-historische Reihe“, die mit Leid beginnt und mit Freude endet. Sie steht einer vierteiligen „weisheitlichen“ Reihe Hi – Spr – Pred – Hld gegenüber, die ebenfalls mit Leid beginnt und mit Freude endet.
Versteht man diese Buchanordnung als theologische Leseordnung, so ergeben sich die folgenden Zusammenhänge:
Die Klagelieder beklagen die Zerstörung Jerusalems und den Beginn des Exils. Die Bitte um Wiederherstellung (Klg 5,21) ist mit den in Esra-Nehemeia beschriebenen Ereignissen erhört. Zuvor aber wird in Daniel und Esther die Exilssituation selbst theologisch durchleuchtet. Beide Bücher zeigen auf, dass die heidnischen Mächte nur scheinbar die Oberhand haben und dass Gott in manchmal verborgener Weise durch diese Mächte, aber auch gegen sie, seinen Heilsplan ausführt und sein Volk bewahrt.
Die Botschaft der „national-historischen Reihe“:
- Der Untergang – Klagelieder: Die Reihe beginnt mit Klage über das bittere Leid, das als Folge von Israels Sünde über Jerusalem gekommen ist. Doch die Güte Gottes ist niemals zu Ende. Daher kann und soll man im Leid geduldig auf ihn hoffen. Die Klage mündet schließlich in die Bitte um das Eingreifen Gottes zugunsten Israels.
- Leben unter der Fremdherrschaft I – Daniel: Alle Herrscher dieser Welt sind Gott unterstellt. Sie sind aufgefordert, sich der Souveränität Gottes unterzuordnen. Gott lenkt den Lauf der Zeiten. Am Ende wird er sein ewiges Reich errichten. Angesichts dessen sollen die Gläubigen ganz auf Gott vertrauen – er wird sich als treu erweisen und am Ende Errettung, Genugtuung und ewiges Leben schenken.
- Leben unter der Fremdherrschaft II – Esther: In einer unsicheren, vom Willkürhandeln törichter heidnischer Herrscher geprägten Welt können die Juden auf den Schutz der Vorsehung vertrauen und im Zusammenwirken von menschlicher Weisheit und Tatkraft mit dem verborgenen Handeln der Vorsehung drohende Gefahren abwenden und ihre Position innerhalb der heidnischen Welt stärken.
- Der Wiederaufbau – Esra-Nehemia: Gott fügt, dass unter persischer Autorisation Tempel, Volk und Stadt wiederhergestellt werden können. Die historischen Einzelereignisse sind Teil des umfassenden heilsgeschichtlichen Planes Gottes. Für die nachexilische Gemeinschaft soll das Gesetz die wesentliche Grundlage bilden. Der Erhalt der Gemeinschaft bedarf ständiger Bemühungen.
Die Entscheidung, das Buch Esther vor Esra-Nehemia zu platzieren, führt zu einem geschlossenen Spannungsbogen vom Untergang zum Wiederaufbau Jerusalems und legt den Fokus auf Rückkehr und Neuanfang im Gebiet Israels – auch wenn viele Juden nach der Restauration weiterhin außerhalb Israels lebten.